Es ist fürwahr eine gewagte Gewürzmischung aus Georg-Friedrich Händel, Brad Mehldau und Toots Thielemans, aus klassischen Adaptionen, jazztypischen Aromen und volkstümlichen Arrangements, die Luciano Biondini, Michel Godard und Lucas Niggli da an diesem Abend vor einem fassungslosen, gebannt lauschenden Publikum ausbreiten. Und, ja – sie können das, sie rauben den feinen Zutaten mitnichten ihre besondere Note, verderben keineswegs das ganz große Menü, sondern servieren etwas, das in dieser Dichte, dieser Konsistenz, dieser Intensität und Bekömmlichkeit so noch nie im Birdland-Jazzclub zu hören war – außer beim allerersten Konzert des fantastischen Dreiers vor ziemlich genau elf Jahren.
Dass seither jede Menge Wasser die Donau heruntergelaufen ist, interessiert im Hofapothekenkeller nur am Rande. Einige der Gäste wollen den Zauber von damals wiederbeleben, andere etwas Neues, Magisches entdecken, und jeder wird auf eine eigene, individuelle Weise für sein Kommen bedient. Der Akkordeonist aus Italien, der Tubaspieler aus Frankreich und der Schlagwerker aus der Schweiz haben zwischenzeitlich mit eigenen Projekten ihre Kreativ-Akkus aufgeladen, um wieder die alte instrumentale Reibungshitze zu erreichen, und vielleicht noch ein bisschen darüber hinaus zu gehen. Dass es immer noch dieselben Stücke wie damals sind, fällt kaum ins Gewicht, denn gerade in einer grenzenlosen Musik wie dem Jazz klingt alles an jedem Abend wie ein nicht wiederholbares Unikat.
Von Godard, der das Tiefparterre der Tonskala gepachtet zu haben scheint, stammen das mondlichttrunkene „Sur lʼéchelle des sphères“ und das herzzerreißend süße „Dancing Dreamers“. Biondini bricht als singender, klagender Blasebalg-Dompteur sein direkt ins Blut gehendes „Prima del Cuore“ als pralle, südamerikanische Melodie auseinander, um sie in nächtlichen Farben wieder zusammenzusetzen, während der ungemein dezent grundierende und pointierende, laubblätterige Rhythmus-Jongleur Niggli gerade im zweiten Set völlig unvermittelt wie der Ätna ausbrechen kann. Dazu passt, dass Godard, der massive Franzose mit dem natürlichen Resonanzkörper, auch das Renaissance-Instrument Serpent, den Vorgänger der Tuba, mit diesem wunderbar zerbrechlichen Ton präsentiert, um dann schnöde bullernd auf einen elektrischen Rickenbacker-Bass umzusteigen.
Diese Musik schreitet, sie durchmisst jeden Quadratzentimeter eines imaginären Raumes voller Würde, Vorfreude, Traurigkeit und Sehnsucht, und ihre ausführenden Kräfte spielen mit Erinnerungen und der Kraft der Imagination. Das Vergessene, das wieder Gefundene, das neu Ersonnene. Ein Sonett, eine Tarantella, ein Valse Musette oder ein afrikanisches Lied. Der Rhythmus schickt Luciano Biondini, Michel Godard und Lucas Niggli tanzend in jeden kulturellen Korridor. Wenn sie zusammenkommen, verschränken sich nicht nur die Klangfarben der Instrumente, sondern all ihre Erfahrungen in einer dichten Interaktion.
Die Musiker lösen sich aus ihren traditionellen Rollen, schieben, drängeln oder fliegen, und alles ergibt plötzlich einen tieferen Sinn, auch eine eigentlich unmögliche Neubearbeitung der Händel-Arie „Lascia chʼio pianga“. Manchmal stört das etwas bemühte Understatement ein wenig, mit dem jeder dem anderen unbedingt den Vortritt lassen will. Und etwas mehr von dieser wunderbaren Musik als nur zwei dünne Sets mit je rund 40 Minuten hätte wohl jedem an diesem Abend gefallen. So muss sich das völlig losgelöste Publikum mit feuchten Händen mühevoll zwei Zugaben erklatschen. Denn schließlich ist jeder Ton dieses Trios von unschätzbarem Wert.