Biondini – Godard – Niggli | 29.09.2023

Donaukurier | Karl Leitner
 

Was für ein herrlich duf­tendes, wohlschmeckendes und lange nach­wirkendes Gebräu, welch energeti­sche und doch so leichte Musik, die uns da an diesem Abend im Birdland Jazz­club in Neuburg angeboten wird.

Die Zutaten? – Luciano Biondini, um­brischer Virtuose am Knopfakkordeon, Michel Godard aus dem französischen Héricourt an allem, was tiefe Töne her­vorbringt, und Lucas Niggli am Schlag­zeug, der das Kunststück fertig bringt, kraft- und druckvoll zu spie­len und gleichzeitig doch so überaus zart und de­zent. Jeder der drei komponiert, was auf den beiden bislang einzigen gemeinsam­en Tonträgern „What It Is And What Is Not“ von 2011 und „Mavi“ von 2013 do­kumentiert ist. Aus diesen Quel­len stam­men alle Stücke des Abends, auch die neu arrangierte Adaption „Unrequited“ von Brad Mehldau und die als Zugaben zu hören­den „Bluesette“von Toots Thie­lemans und Georg Friedrich Händels „Lascia Ch’io Pianga“.

Die passenden Zutaten sind das eine, was der Koch, besser gesagt, die drei Köche aus ihnen machen, das andere. Psychedelische Sounds inklusive der dafür typischen Läufe auf dem headless E-Bass, die sich plötzlich in Richtung italie­nische Folklore davonschleichen, der har­te Balkan-Beat gleich zu Beginn bei „Prima Del Cuore“, die Klangcluster bei „Dreaming Dancers“, die sich all­mählich in einen Reggae verwandeln, die Colla­gen bei „Ansencia“ und „Mavi“, die in jazzig groovenden Mainstream münden. Jede Nuance stimmt, hinter je­der Wegga­belung stößt man auf eine neue Überra­schung. Was für eine herrli­che Gewürz­mischung, was für ein Ge­nuss zwischen Stringenz und Improvisa­tion, zwischen Intensität und Leichtig­keit, zwischen Komplexität und Durch­sichtigkeit, zwischen Experimentierlust und festem Konzept.

Jedem der Köche gebührte eine Haube. Mindestens eine. Für Biondini gibt’s nur ein Wort: Virtuos. Godard bedient nicht nur den E-Bass, sondern auch eine tür­kisfarben gespritzte Tuba – was Nils Landgren mit seiner roten Posaune macht, kann er schon lange – und schließlich deren Vorläufer, den heute historischen Serpent. Und Niggli kon­trolliert den Eintopf, der natürlich ob sei­ner ungeheuren Vielfalt gar keiner ist, sorgt für die Hitzezufuhr, die vonnöten ist, ihn am Kochen, Köcheln oder Blub­bern zu halten ohne zu erkalten oder überzukochen.

Die lyrischen Passagen, die genauso wichtig sind wie die lebhaften, in denen imaginäre Bilder produziert werden, sich der Horizont nach hinten verschiebt und weitet und den Blick frei macht in die Ferne, über Berge oder übers Meer, kom­men einem irgendwie bekannt vor. Wür­de hier nicht immer wieder nach Art er­fahrener Jazzer improvisiert, schliche sich an solchen Stellen die Musik des Pixner Projects klammheimlich ins Be­wusstsein, wobei beide natürlich einen völlig anderen An­satz verfolgen, Herbert Pixner den alter­nativ-alpinen, dieses Trio hier im Bird­land den des in alle Richtun­gen offenen Modern Jazz, in denen Re­gionen, die Klangfarben der Instrumente und musi­kalische Epochen so überaus originell zusammengeführt wer­den. – Am Ende ist der Abend viel zu kurz. Man hätte so gerne noch so viel mehr ge­hört aus diesem Schmelztiegel. Man fül­le ihn bitte möglichst bald neu. Nach­schlag unbedingt erwünscht!