Claus Raible Trio | 31.10.2020

Neuburger Rundschau | Peter Abspacher
 

Zum zweiten Mal hat Claus Raible, der Teufelskerl auf dem Jazz-Piano, mit seinem Trio direkt in einen Lockdown hineingespielt. Anfang März in Wien, als eine geplante Tournee abrupt beendet wurde, und jetzt im Birdland Jazzclub in Neuburg. „Ich hoffe, dass wir in Bälde wieder vor Publikum musizieren dürfen, wenn diese hoffentlich nur vier Wochen vorüber sind“, sagte der Münchner Swing-König. Der Beifall war an dieser Stelle besonders intensiv.

Und dann legt Raible mit dem Bassisten Giorgios Antoniou und dem Schlagzeuger Xaver Hellmeier los, als wollten sie dem vermaledeiten Virus und all seinen Begleiterscheinungen sagen: Du hast keine Chance gegen uns, gegen die unbezwingbare Macht des Jazz, der Kultur insgesamt. Mit kraftvollem, fast wütendem Zugriff lässt Raible den Bösendorfer-Flügel in vollen Akkorden aufblühen. Sein Mitstreiter am Kontrabass swingt mit Leib und Seele, das Instrument entwickelt einen betörenden Sound auch in den ganz tiefen Lagen. Und der furiose Schlagzeuger bearbeitet seine Trommeln und Becken mit einem Feuer, als wollte er dieses Covid19 aus unserer Welt einfach hinauswerfen.

Dabei lässt sich Xaver Hellmeier im ersten Set manchmal derart fortreißen, dass er es mit der Lautstärke übertreibt. Da sind Knalleffekte zu hören, die so scharf nicht sein müssen und mehr als hörenswerte Facetten des Pianisten kurzzeitig überdecken. Dabei ist Hellmeier ja ein Künstler auf dem Schlagzeug, er brilliert in seinen Soli mit frappierenden Klangfarben und zeigt im Trio ein zauberhaftes Gespür für sehr komplexe Motive und verrückte Taktwechsel. Mal richtig reinzuhauen, das hat ein Xaver Hellmeier nicht nötig, um zur Geltung zu kommen .

Dieses Trio ist von der Lust am Swing und am Bebop beseelt, es lebt und liebt die komplexen Kompositionen seines Bandleders, die leicht wirken, aber ohne intellektuelle Durchdringung nicht wirklich zu gestalten sind. Das Stück „Excenter“ zum Beispiel, ein vertracktes Gebilde von verschobenen, scheinbar gegeneinander arbeitenden Motiven und rhythmischen Volten. Da ist, wie es Raible selbst beschreibt, eine Art Unwucht zu spüren, die sich immer wieder auf die Auflösung in einen runden Lauf zubewegt und doch wieder auseinanderstrebt, bis sich ein faszinierender, satter Strom von Harmonie und Logik findet.

Komplex, aber nicht überkompliziert ist diese Musik, auch wenn sich die herbe Schönheit etlicher Nummern erst nach einiger Zeit erschließt. Ist diese kleine Hürde genommen, wird der Abend im Birdland zu einem umfassenden Vergnügen. Man kann die verrückten Kapriolen des Pianisten als virtuoses Geschenk genießen, man staunt über eine ätherische Ballade wie „Night time is my mistress“ und spitzt die Ohren, wenn Claus Raible Akkorde aus einer anderen Welt in den Raum setzt.

Da hört man kleine und großen Sekunden, schräge Septimen oder Nonen gleichzeitig, verminderte und übermäßige Akkorde werden in perfekter Reibung ausgekostet. Das sind Dinge, die „eigentlich“ gar nicht gehen, aber dieses Trio beweist das Gegenteil. Sehr mutig, sehr ambitioniert, sehr spielfreudig und mit Tonkaskaden über die 88 Klaviertasten hinauf und hinunter, dass einem der Mund offen steht. Dieser Sound trägt über eine vierwöchige Zwangspause locker hinweg.