Pianotrio – die scheinbar simpelste Möglichkeit, eine Jazzband auf die Beine zu stellen, zugleich die schwierigste: Schließlich ist nach hundert Jahren Jazzgeschichte alles irgendwie, irgendwann, irgendwo schon mal gespielt worden in der Besetzung Klavier, Schlagzeug, Bass. Könnte man denken, stimmt aber nicht! Gerade das Pianotrio war immer wieder ein weites Feld für Neuerungen, besonders in den letzten Jahren. Jüngster Beleg im Neuburger Birdland bei Art of Piano 97: Das Christoph Stiefel Trio.
Schier unerhört, was der Züricher Pianist mit seinen Kombattanten Patrice Moret und Marcel Papaux aus 88 Tasten, 4 Saiten und einem Schlagzeugset an Groove, Phantasie, Variantenreichtum, Klanglichkeit und Stimmungen herauszaubern. Stiefel greift dabei tief in die Schatztruhe der Geschichte auf eine alte mittelalterliche Kompositionstechnik zurück: die Isorhythmie, also die mehrmalige Wiederholung eines rhythmischen Grundgerüstes unabhängig von der Tonhöhe. So entstehen Tonstücke, die zwar die Intervalle ändern, jedoch nicht den Rhythmus selbst; der bleibt durchgehend erhalten, wird jedoch durch Akzentverschiebungen variiert. Dabei verschieben sich auch die Melodielinien in gleichbleibender rhythmischer Struktur gegeneinander. Im Überlappen von rhythmischer und melodischer Struktur ergibt sich die Illusion einer Vielfalt an Rhythmen. Die ist ungeheuer reizvoll, zumindest bei Christoph Stiefel, der die Isorhythmie konsequent durchzieht, seine Kompositionen auch schlichtweg mit „Isorhythmus 1, 2, 3 …“ benennt, auch seine Standardinterpretationen in der Titelangabe mit den jeweiligen Rhythmen ergänzt.
Die Isorhythmen klingen im Übrigen bei weitem nicht so akademisch, wie sie leider nur beschreibbar sind, im Gegenteil: Sie entfalten eine faszinierende sinnliche Sogwirkung. Das tranceartige rhythmische Ostinato bereitet den idealen Boden für den Flug der Melodien. Schlagzeug, Bass und eine starke linke Hand am Piano produzieren unwiderstehliche rhythmische Energie, auf deren Korona die Rechte des Pianisten nur so tanzt in einer technischen Makellosigkeit und perkussiven Genauigkeit, der man die mehreren Stunden täglichen Übens deutlich ebenso deutlich anmerkt wie die hohe Kultur des Zusammenspiels. Dabei hält sich das innovative Powerplay mit lyrischen Momenten absolut die Waage, auch wenn das Spiel sich zuweilen von den Tasten des Flügels löst, und dem Innenleben des Bösendorfers mit Händen, Schlegeln und Strohhalmen zu Leibe rückt. Keine Sekunde Langeweile kommt auf bei solch sanfter Art hochenergetischer Musik, der fesselnde Groove bläst jeden Verdacht der Kopflastigkeit von vornherein davon, bei aller Tücke entfaltet sich höchster Unterhaltungswert, allenthalben quittiert mit atemlosem Zuhören und verzücktem Mitwippen seitens eines begeisterten Publikums.