Christian Muthspiel – Steve Swallow | 09.11.2019

Donaukurier | Karl Leitner
 

Das Programm heißt zwar „Simple Songs“, ist aber alles andere als mit einfacher Nadel gestrickt. Christian Muthspiel aus Wien bedient Posaune, E-Piano, den Flügel, die Flöte, den Synthesizer und ist für das Sampling und die elektronischen Effekte verantwortlich, sein Partner Steve Swallow spielt den fünfsaitigen E-Bass wie immer mit Plektrum und wäre – ein absoluter Sonderfall für einen Vertreter seines Instruments – auch im Blindtest bereits mit dem ersten Ton identifizierbar. Beide haben sowohl Big Band-Erfahrung – Muthspiel als Komponist und Dirigent mit seiner eigenen, Swallow als Eckpfeiler der von Carla Bley – als auch mit diversen Duo-Projekten.

Was die beiden in Neuburg im Birdland an diesem Abend veranstalten, ist einzigartig, sonst nirgends hörbar, also quasi ein Unikat, steht einem Claude Debussy einer- und einem Brian Eno andererseits näher als einem Duke Ellington und will partout in keine Schublade passen. Vielleicht sollte man es als „programmatischen elektronisch-akustischen Kammerjazz“ bezeichnen. Aber so ganz passt auch das nicht. Ein Weltklasse-Bassist aus New York spielt den Andachtsjodler, auf dem „Viennesce Marketplace“ treffen sich alpenländische Weisen und Balkan-Grooves, Eric Satie grätscht wie immer unorthodox dazwischen, der Posaunist singt wie einst Albert Mangelsdorff durch sein Instrument, wandelt auf den Spuren Joe Zawinul’s und am Ende hat Franz Schubert’s „Schöne Müllerin“ zu allem Überfluss – nein, zur Freude des Auditoriums – auch noch den Blues.

Das geht nicht? Oh doch, das geht! Und nicht nur das! Solopassagen werden genauestens eingeplant, filigrane Sequenzen wechseln sich ab und werden verwoben mit architektonisch meisterlich konstruierten Klangkathedralen, die sich auf der Basis live erzeugter Klangspuren im Gewölbe unter der Hofapotheke ausbreiten. Zwischendurch schwirren die Blue Notes von Miles Davis‘ „All Blues“ durch den Raum, dann wieder schimmert Muthspiels Vorliebe für die Renaissance durch. Die Musik bietet gleichzeitig Gelegenheit zur Reflexion und zum Nachempfinden, ist Stoff für Kopf und Seele gleichermaßen. Obwohl die Stücke vollgepackt sind mit raffinierten Finessen, das Ganze also durchaus eine artifiziell-intellektuelle Note hat und man durchaus mitdenken darf, um ihrem Verlauf zu folgen, ist sie nicht verkopft.

Und letztendlich stimmt der Titel „Simple Songs“ ja doch. Jede einzelne Nummer nämlich basiert auf einer an sich einfachen Idee, einem einzelnen Tonintervall („Pas De Deux Tranquille“), der lediglich wenige Töne umfassenden Melodie eines Kinderliedes („Lullabye For Moli“), einem noch leeren Walzertakt („Let The Children Waltz“). Das Spannende ist, was Muthspiel und Swallow aus diesen winzigen Bausteinen machen. Das Ergebnis ist mit nichts zu vergleichen, nicht einmal mit einer der zahlreichen Spielarten, die das höchst vielseitige Programm des Birdland ansonsten das ganze Jahr über für sein Publikum bereithält.