Seine Band und deren aktueller Tonträger nennen sich „Circuits“, was in diesem Fall so viel wie „Schaltkreis“ bedeutet, und die Grafik auf dem Cover der CD gibt einen Blick frei ins Innenleben eines Computers. Wer daraus schloss, dass das Konzert des Sopran- und Tenorsaxofonisten Chris Potter und seiner beiden Begleiter im Neuburger Birdland Jazzclub keine rein akustische sondern vielmehr eine elektrisch verstärkte Angelegenheit werden würde, lag schon mal goldrichtig.
Was Potter, der Schlagzeuger Eric Harland und der für die Keyboards, das Piano und ein umfangreiches Arsenal an Electronics zuständige James Francies den ganzen Abend über spielen, mag zwar im Prinzip Modern Jazz sein, aber eben eine Variante, die sich des Klangbilds des Rock bedient. Was bei diesem Tun herauskommt, ist – nach den Intermezzi von Bands wie Joe Zawinuls Weather Report, Steve Smiths Vital Information oder Bill Brufords Earthworks in der Szene – zwar nicht mehr unbedingt neu, aber doch auch nicht alltäglich. Und wie Potter die Sache angeht und mit seiner Art des Umgangs mit dem Subgenre den Begriff des Fusion-Jazz neu definiert, ist – Lautstärke hin oder her – auch ungemein spannend.
Nun gewinnt bei einer Band wie dieser neben Melodik, Harmonik und Rhythmik zusätzlich die Komponente des Sounds eine entscheidende Bedeutung. Sampler, Phaser, Equalizer oder Reverb werden eingesetzt und Potter und Francies bedienen auch sonst noch eine ganze Reihe von Effektgeräten. Ja, das Ganze macht durchaus Sinn und Potters Drang, auch in klanglicher Hinsicht mit dieser Band für sich neue Wege zu entdecken, wird überaus deutlich. Bis auf die Sache mit dem Synth-Bass, der via Keyboard-Tastatur gespielt wird, klappt die Sache auch ganz vorzüglich. Der freilich ist vor der Pause nur als tiefes, undifferenziertes Gebrumm zu hören, was bewirkt, dass man einzelne Töne nur verschwommen wahrnimmt. Das ist ärgerlich und verleidet einem als Zuhörer den Rest. Als das Problem nach der Pause – übrigens auf Betreiben des Tontechnikers und zuerst einmal gegen den Willen des Musikers – behoben ist, wird erst deutlich, dass sich auch in den tiefen Lagen durchaus spannende Dinge tun. Wie vor allem Potter als Solist einen eruptiven Tonschwall nach dem anderen über die teils recht schwer pumpenden Rhythmen ausgießt, wie er sich einen Teilbereich aus der Themamelodie herausgreift, ihn geradezu verschlingt und durch den Wolf dreht, wie die gesamte Band die Funkmuster aufreißt, ohne dass der Groove verloren geht, wie nach gewonnener Schlacht am Schluss alle glücklich vereint auf die Zielgerade einbiegen, das hat fürwahr Klasse. Solch verkantete Arrangements, solch verzwickte Abläufe in diesem klanglichen Gewand hört man selbst im Birdland selten. Natürlich muss man damit rechnen, dass sich an Musik wie dieser möglicherweise die Geschmäcker scheiden. Dass man sie aber an Orten wie diesem überhaupt zu hören bekommt, spricht wiederum für die stilistische Offenheit und die Risikobereitschaft des Veranstalters.