Charly Antolinis Jazzfamilie 23 | 04.02.2023

Neuburger Rundschau | Reinhard Köchl
 

Komisch. Irgendetwas liegt in der Luft. Das Publikum im bis auf den allerletzten Platz besetzten Hofapothekenkeller ist wie immer aus dem Häuschen, die Musiker genießen scheinbar jeden Ton, fast drei Stunden lang geht wieder mal richtig die Post ab, nicht zuletzt dank des Schlagzeugers, die Stimmung ist permanent auf dem Siedepunkt.

Aber ganz am Schluss, kurz vor der Zugabe, steht Charly Antolini auf, diese scheinbar unkaputtbare Schweizer Drum-Legende, der Gerüchten zufolge schon den Teufel durch die Hölle geprügelt haben soll, und spricht ganz leise zu seinen Fans, bedankt sich mit belegter Stimme „für den schönen Abend, für all die tollen Jahre. Vielleicht sieht man sich in diesem Leben mal wieder.“ Es hat etwas von Abschied vom Neuburger Birdland, einem von Antolinis absoluten Lieblingsclubs, vielleicht sogar von der ganz großen Bühne. Denn im Mai wird der Schweizer Nationalheld immerhin 86. Damit die Sache aber nicht ganz so rührselig wird, schickt er noch einen echten Antolini hinterher: „Wenn Sie noch ein bisschen bleiben, können Sie zuschauen, wie ich nach Hause komme.“ Lachen, prusten, weitermachen.

Und Swingen, bis der Arzt kommt: Das war schon immer Charly Antolinis Devise. Dazu braucht es eine mit allen Wassern gewaschene Band, die wie geschmiert läuft. Deren Mitglieder sollten möglichst ähnlich ticken wie er, und vor allem Charly so nehmen, wie er nun mal ist: ein Spaßvogel, der nach wie vor richtig gut Schlagzeug spielen kann, einer der gerne im Mittelpunkt steht und alles tut, damit man das auch ja nicht vergisst. Dazu gehören nun mal seine typischen „Bomben“, die überfallartigen, völlig aus dem Nichts auftauchenden Donnerschläge auf die Snare-Drum, die auf und vor der Bühne wie ein Hallo-Wach wirken und jedem signalisieren: Alle Aufmerksamkeit zu mir! Sich zurückzuhalten, das fiel dem großen Schlagzeuger schon immer schwer. Bei „Please Donʼt Talk About Me When Iʼm Gone“ muss Sänger „Scat Max“ Neissendorfer seinen Chef, der beim Intro gleich wieder loslegen will, sogar bremsen, weil der Song eben mit einem leisen Auftakt von Piano und Stimme beginnt. Aber so ist er nun mal, der Charly: Ein kaum zu bremsendes Energiebündel, das trotz seines Alters immer noch vor Adrenalin überläuft, einer, der nicht still sitzen kann und den Jazz mehr liebt, als alles andere. Am liebsten würde er bis zum letzten Atemzug trommeln.

Die Jungs, die er diesmal mit nach Neuburg gebracht hat, nennt er „Charly Antoliniʼs Jazzfamilie 23“. Irgendwie passt das, denn der spritzig perlende Pianist Martin Bublach und der wunderbar soulig agierende, mitunter an den großen Lou Donaldson erinnernde Altsaxofonist Florian Riedl könnten locker seine Enkel sein, der solide Swing-Felsen Rocky Knauer am Bass und Neissendorfer als Münchner Sinatra wenigstens seine jüngeren Brüder. Aber er ist und bleibt der Patriarch, der das letzte Wort bei der Repertoire-Auswahl hat und bevorzugt Stücke aussucht, in dem das Schlagzeug eine tragende Rolle spielt, wie das knisternde Louis-Armstrong-Schlachtross „St. James Infirmary“, das funkig-süffige „M 100“ aus Bublachs Feder, oder Duke Ellingtons „Caravan“ mit dem typischen, mystisch rollenden Drum-Solo. Die Zugabe trägt den bezeichnenden Titel „Keep On Swinging“. Ein munteres, fröhliches, positives Stück am Ende eines rauschhaften und irgendwie ganz speziellen Tages, bei dem alle mitsingen: das Publikum und die Musiker im Kanon. Isch schön gsi, adieu, Charly!