Charlie Mariano – Thorsten Klentze Quartet | 25.09.2003

Donaukurier | Reinhard Köchl
 

Wie sich doch die Zeiten ändern. Während die Neuburger Barockkonzerte früher ganz getragen mit Mozarts Quintettsatz in F-Dur, KV 580/b aus dem Startblock kamen, steht heute ein seltsames Stück namens „Bremsflüssigkeit“ am Anfang. So etwas muss man sich erst mal trauen!

Und auch solch ein Konzept in die Tat umzusetzen, wie das des Gautinger Gitarristen Thorsten Klentze, das fast schon an eine fixe, wenn auch geniale Idee grenzt, dazu gehört wahrlich Mut. Ein gestrichenes und gezupftes Cello (Jost Hecker), folkloristische Perkussionsinstrumente (Marika Falk), zwei Bläser (Roger Janotta und Charlie Mariano) und sechs Saiten, bedient vom Leader selbst. Doch Klentze liebt den Gegenwind, marschiert mitten hinein, anstatt sich vom Mainstream widerstandslos forttreiben zu lassen. Ebenso wie es die Barockkonzerte tun. Mittlerweile im vierten Jahr läuft bereits deren ambitionierte Reihe „Brückenschläge“ zum Start und stellt mit klassiknahen Jazzkonzerten im stets ausverkauften „Birdland“-Keller unter der Hofapotheke unter Beweis, dass der Sprung zwischen der so genannten alten und der neuen Musik meistens nur (puristische) Überwindung kostet.

So versöhnt die Instrumentierung des unkonventionellen Quintetts mehr, als dass sie spaltet. Dezent, leise aber bestimmt treibt Klentze seinen Nonkonformismus voran, wittert im Minimalismus die Chance, auf sich aufmerksam zu machen. Die Stücke wirken wie charmant-bewegende Klangbilder, die allein deshalb eine solch tiefgehende Wärme transportieren, weil sich Falks handgeschlagene Percussion-Tupfer, Heckers bindend-nuancierende, fantastische Linien, Klentzes entspannt-melodische Phrasierung, Janottas harmonische Querschläger auf Oboe, Sopransax oder Bassklarinette und Charlie Marianos fragile Altsax-Linien gegenseitig anziehen, nähren, verschlingen.

Welch simple, aber brillante Logik, mit der Klentze und Co. hier geschickt den ranzigen Kammerjazz-Topf, den säuerlichen Esotherik-Napf oder den abgestandenen Worldmusic-Brunnen umkurven und in seinen eigenen ästhetischen Ozean eintauchen. „Sarabande“ trägt einen häufig vermissten Schuss Humor, „Gretchens Stube“, dem Faust-Zyklus entliehen, wirkt mit Marianos phänomenaler, fast menschlicher Altstimme und dem scheinbar um Gnade wimmernden Cello Heckers wie ein Füllhorn an Gesten.

Da wären auch noch akustische Spielfilme wie „Columbia“, bei dem sich Klentze von einer zypriotischen Taxifirma inspirieren ließ. Das Cello eröffnet mit einem Intro über Berg und Tal, es knattert und rumpelt im Gebälk. Zweiter, dritter Gang: Falk gibt auf der Tabla Gas, Hecker fummelt an der Gangschaltung herum, Mariano und Janotta blasen den Vergaser durch. Im Vierten schließlich legt der Gitarrist ein Solo von der beflügelnden Wirkung einer Einspritzpumpe hin.

Oder das schattenverhangene, einmal fast freie und dann wieder balladeske „Christmas Blue“: Überall schimmert der Spaß an naiv hingefläzten, harmonischen Querschlägen, an rhythmischen Arglosigkeiten, an sphinxhaften Erzählstrukturen durch. Noten wie Knallerbsen, durch ein Pusterohr geschossen oder die Tonleiter im Schweinsgalopp rauf- und runtergetrieben verbreiten eine eigentümlich fesselnde, angenehm klischeelose Zufriedenheit. Und nach zwei hinreißend abstrakten Zugaben taucht aus dem Nebel der tollkühnen Improvisationen irgendwann sogar wieder die Brücke zwischen Klassik und Jazz auf.