Dieter Ilg ist ein Genussmensch. Einer, der lieber still in sich hineinschwelgt, als vor Freude loszuplärren, und dem die gemeinsamen Tischrunden mit seinem väterlichen Freund Charlie Mariano genauso heilig sind, wie die instrumentalen Gourmetrunden im Duo auf offener Bühne. Der Autor der inzwischen legendären Serie „Jazz Cooks“ weiß aber auch ganz genau, was er will und was nicht. Es darf auf keinen Fall irgend ein Wein sein, sondern ein Spätburgunder Glottertäler Roter Bur, Jahrgang 2000. Es sollten schon Stücke gespielt werden, die einen fordern und nicht allzu belanglos dahin plätschern. Und der Saibling muss bitte genau diese eine, locker aus dem Handgelenk geschüttelte Prise Salz tragen. Alles andere wäre fad oder überwürzt.
Deshalb ist der 42-jährige Freiburger auch nach einem Konzert im Neuburger „Birdland“, an dem es nun wirklich nichts zu meckern gibt, irgendwie unzufrieden. Arpeggios, Drops, rhythmisch und harmonisch optimale Walking-Linien, bläserartige oder perkussive Phrasierungen, singende oder flüsternde Rollenspiele: Kein anderer Bassist verfügt über eine derart reiche Ausdruckspalette, über eine solch stupende Technik und über einen derartigen kreativen Impetus. Und doch hadert Ilg im Hofapothekenkeller – weil er erstmals mit einem neuen Bass auf die Bühne ging. Er sei zu hell im Ton, schwinge nicht so lange nach und reagiere überhaupt völlig anders, als sein altes Instrument. Nur gehört hat es niemand. Ein Publikum, dass nur oberflächlich genießt?
Wohl kaum. Denn selbst dafür reißen Ilg und Mariano schon im ersten Song des Abends alle Brücken hinter sich nieder. Nur ja keine Oberflächlichkeiten, sondern niveauvolles Schürfen. Aber keine Kopfmusik. Keines dieser plakativ fragilen Duos, dem gerne das Etikett „Kammerjazz“ aufgepappt wird. Eher ein selbstverständliches, ein genetisch kompatibles Miteinander. Und vor allem ein funktionierendes.
Dabei könnten der alte Mann (81 Jahre!) mit dem Horn und der fast halb so junge Bursche an den Saiten unterschiedlicher kaum sein. Sie stammen aus anderen Generation und Kulturen. Der eine ein extrovertierter Italo-Amerikaner, der einst als bester Altsaxofonist der Welt galt und auch heute – immer noch – ein Ausbund an Kompetenz, technischer Brillanz und musikalischer Fantasie ist. Der andere ein introvertierter Breisgauer, eine Art Paul Klee am Bass. Aber sie lassen sich ineinander treiben. „All the Things you are“, „Savannah Samurai“: Ein organisches Wechselspiel wie das zwischen Lunge und Hirn.
Mit den Exkursen in die italienische Oper etwa – für die meisten Kollegen veritable Stolpersteine – öffnen Mariano und Ilg Türen zu neuen Ausdrucksformen. Das Alto singt förmlich Koloraturen, die Stimme klingt sandig, aber in ihrer Strahlkraft ungeheuer warm, während der Bass zugleich begleitet und kontrastiert. Die Gegensätzlichkeit setzt Emotionen frei, intime, fast entblößende Liebes- oder Ohnmachtserklärungen, nüchterne Deklamationen, klagend, schreiend.
Selbst in ruhigen Momenten ist das Konzert eine Art von Seelenstriptease. Ungekünstelt, aufrichtig und gerade deshalb große Musik auf kleiner Flamme. Perfekt von der Garzeit her, optimal von der Konsistenz und der Würze. Alles andere als ein versalzener Saibling.