Charlie Mariano – Dieter Ilg | 28.02.2004

Neuburger Rundschau | Dr. Tobias Böcker
 

In der Ruhe liegt die Kraft. Kaum je galt dies so sehr wie im Konzert von Charlie Mariano und Dieter Ilg im Birdland Jazzclub. Die beiden Ausnahmemusiker zelebrierten die Kunst des Duospiels in allen nur denkbaren Tugenden: Höchstmögliches Einfühlungsvermögen im Zusammenspiel geht einher mit hoher Tragkraft der individuellen Stimme und phantasiereich ausdifferenzierter improvisatorischer Kreativität.

Der Gleichklang von zwei Herzen, die im je eigenen Schlag einen gemeinsamen Puls entstehen lassen, wird selten so deutlich wie es im Duo Mariano-Ilg der Fall ist. Beide sind – bei allem intellektuellen Anspruch des „Logos“ ihrer Musik – im Herzen wahre Romantiker, denen es weniger um die Mathematik der Töne geht, sondern darum, mit deren Hilfe Ausdrucksvielfalt zu erzielen, den Zauberwald zu erkunden in all seinen geheimnisvollen Verheißungen. Beide sind ausgesprochene Klangkünstler, legen erheblichen Wert auf die Qualität der Tonbildung, auf den individuellen Sound ihrer Instrumente, überlassen selbst in tempogeprägten Momenten keinen einzigen Ton sich selbst, formen, modellieren, nuancieren in höchster Sorgfalt, sorgen bewusst für musikalisches Slow-Food. Da gewinnt Ilgs Komposition „Greenland“ – „Mein Bekenntnis zur biologischen Landwirtschaft“, wie der Bassist eigens vermerkt – den Charakter eines Bekenntnisses zur Entdeckung der Langsamkeit. Nicht schneller, höher, weiter will das Duo, sondern tiefer hinein in ein wahrhaft lebenswertes Leben.
Charlie Mariano, der Altmeister am Altsaxophon, nach wie vor eine der wichtigsten Stimmen des zeitgenössischen Jazz, vereint in seinen stets melodiebetonten Improvisationen den Ansatz des Cool Jazz klassischer Prägung mit weltmusikalischen Grenzgängen und den knorrigen Roots des Blues eines „Lazy Day“. Die facettenreiche Expressivität des 80jährigen zeichnet in wirkungsvoller Zurückhaltung Stimmung, Atmosphäre und Bewegungen von Standards – „All the things you are“ -, Balladen – „Babe“ – und sogar italienischen Opernmelodien, bringt sie in makelloser Schönheit auf den Punkt. Fernab von allzu glattem Wohlklang entfaltet das Altsaxophon die Lebenskraft und Weisheit einer Welt-erfahrenen Biographie.
Dieter Ilg, der vor einigen Jahren die Wurzeln seiner Musikalität im Liedgut aus des Knaben Wunderhorn erforschte, schöpft seine Inspiration durchaus auch aus den Wirrnissen unserer Tage: „Savannah Samurai“. Der Kontrabassist aus der ersten Reihe der Weltelite präsentiert sich einmal mehr als begnadeter Techniker, dem eine schier stupende Ausdrucksvielfalt an seinem Instrument zu Verfügung steht. Mit inniger Hingabe entlässt er rund groovende Klangkissen, swingende Linien in raffinierter Schrittfolge, singende Akkorde und wohl dosierte Obertöne in den Keller, der sich alsbald in einen Klangraum verwandelt, den der Fall einer Stecknadel in höchste Irritation brächte.