Geri Allen | 05.03.2004

Donaukurier | Reinhard Köchl
 

Art Of Piano 75

Der ewige Kampf Mensch gegen Piano. Allein gegen 88 schwarz-weiße Tasten. Du musst sie zwingen, überlisten. Erst dann sind sie bereit, sich mit dir zu versöhnen. Sie gestatten keine Beliebigkeiten, bestrafen jeden Fehler gnadenlos, stellen einen bloß vor einem gierig-gespannten Auditorium, das erst durch Länge seines hämischen Schweigens verrät, wie tief der Fall eigentlich ist.

Viele scheitern gleich zu Beginn, warten verzweifelt auf Hilfe, bekommen aber keine. Vor fast genau zehn Jahren erging es an selber Stelle dem großen, mittlerweile verstorbenen Ella Fitzgerald-Begleiter Tommy Flanagan so. Sein Solokonzert empfand der Protagonist als eine derartige Qual, dass er einen Livemitschnitt des denkwürdigen Abends im Neuburger „Birdland“-Jazzclub zu Lebzeiten um keinen Preis veröffentlich sehen mochte. Es gab aber auch welche, die schafften hier die Quadratur des Kreises: Ray Bryant etwa 1992 oder Michel Petrucciani 1996. Und nun auch noch Geri Allen. Seit dem Wochenende steht fest, dass sie das Duell gegen den Elfenbein-Drachen gewonnen hat – nicht nur knapp nach Punkten, sondern haushoch mit einem klassischen K.o.

Zweifel lässt die resolute 46-jährige Virtuosin aus Detroit sowieso nie aufkommen. Den Gegner aus der Distanz beobachten oder aber in den Klammergriff nehmen, aus dem es kein Entrinnen mehr gibt. Geri liebt den Exzess, die Urgewalt von Skalen, das Tempo, bei dem der Schall der Töne kaum dem rasenden Anschlag folgen kann. Schwere, ostinate Bassfiguren mit der Linken kontrastieren klirrende Triller, bis alles in eine Zentrifuge aus Synkopen, Clustern und morseartigen Hammerschlägen mündet.

Innerhalb eines Taktes kann sie ganze Horizonte verändern, einen dunklen, Gewitterhimmel mit einem einzigen Akkord blutrot ausmalen. Wie sie überhaupt alles kann: Geschichten erzählen von ruhelosen Geistern, entleerten Freaks, dummen Glückspilzen. Sie kann mit Hilfe des Klaviers rennen, tauchen, fliegen, die Zeit außer Kraft setzen. Und manchmal auch, wenn Geri Allen die vollständige Kontrolle über Instrument und Publikum erlangt, mit ganz wenigen Anschlägen auskommen.

Dabei öffnet die Dame Songs wie einen Fächer, schichtet Akkord über Akkord, springt wie ein Faun über Oktavbarrieren, lässt sich von Kadenzen in die Höhe katapultieren, diagonal durch die Melodie schleudern, spielt mal 60 Noten in zehn Sekunden und dann wieder keine sechs in einer Minute. Ihre Versionen von „Lush Life“ oder „Angel Eyes“ gehören wegen ihrer Reduziertheit mit zum Erhabensten, was das Jazzpiano bislang produziert hat; karge Notengebilde, so edel und warm, als wären sie aus Mahagoni gezimmert.

Einerseits liegt es an einer unbändigen Kampfeslust, andererseits auch an ihrem schonungslos offenen Visier, hinter dem eine empfindsame Seele steckt. Geri Allen, so viel steht nach ihrem fulminanten Alleingang in Neuburg fest, emotionalisiert das Klavier auf eine Art, wie es vor ihr gerade noch stillen Genies wie Mal Waldron oder Herbie Nicols gelang. Ihnen huldigt sie, in dem sie sich ganz weit von deren Stilistik absetzt und stur ihr eigenes Ding durchzieht. Aber das hätte Waldron auch getan, um seine Ehrerbietung für ein Vorbild zu beweisen.

Der Rest ist schlussendlich tiefe innere Symmetrie mit einem Instrument, das so schwer zu bezähmen ist, wie ein wildes Pferd. Klappe (oder besser: Deckel) zu. Klavier lebt.