Charlie Hunter Duo | 10.09.1999

Donaukurier | Reinhard Köchl
 

Ein schwerer Basslauf grummelt, als läge ein kollektives Sodbrennen in der Luft, ein Schleier aus Synthi-Schwaden, Soundfetzen und tropfenden Tönen flimmert durch den Keller, immer wieder in die Höhe gelupft durch einen forschen Drum-Beat. Spannend, was diese zweiköpfige Klangmaschine da auf der Bühne des Neuburger „Birdland“-Jazzclubs an multiphonen Kapriolen vom Stapel lässt, enorm in ihrer rhythmischen Vielfalt und Komplexität. Aber wenigstens im ersten Teil des Startkonzertes in die Milleniumsaison gerät das spektakuläre Experiment viel zu fahrig, um eine spinale Einheit erkennen zu können, und vor allem zu laut, um eine atmosphärische Dichte zu erreichen.

Charlie Hunter und sein Partner Adam Cruz proben auf ihrer „Rising Star“-Tour durch Europas führende Clubs die Quadratur des Kreises. Beide offerieren ihre Kunst als Duo, doch dabei handelt es sich um reines Understatement. In Wirklichkeit spielt dort oben nämlich ein Quartett: dreimal Hunter und einmal Cruz. Der Wunderknabe an der achtsaitigen Gitarre aus Berkeley/Kalifornien träumt ganz offenbar von einem Leben als siamesischer Drilling und kompensiert dieses Phänomen, indem er vorgibt, synchron die Rolle eines Bassisten, eines Organisten und eines Gitarristen übernehmen zu können. Dabei wäre einmal Charlie Hunter – nämlich nur der wieselflinke, hochbegabte Saitenhexer, den sie schon Mitte der 90er im „Down Beat“ als eine der größten Hoffnungen auf diesem Instrument ausgeguckt hatten – in Wirklichkeit dreimal so viel.

Worum es Hunter geht, ist ein Reduktionsprozess auf bestimmte Strukturen: Soul aus den Sixties, Blues aus dem Delta, Funk aus der Dancefloornische, Pop aus der Hitparade, zusammengeklammert mit dem Geist der Improvisation. Das durchaus vielversprechende Konzept zur Öffnung des Jazz für ein jüngeres Publikum klingt jedoch in seinen statischen Phasen wie eine didaktische Anleitung für angehende Rhythmusgruppen, bei der trotz der Reibefläche eines Baseballfeldes viel zu häufig die erhoffte Zündung völlig ausbleibt.

Irgendwann nach der Pause passiert dann etwas, das niemand mehr für möglich hält: Hunter und Cruz vergessen ihr starres Schema, spielen einfach, und in dem ganzen strukturellen Einerlei geht urplötzlich die Sonne auf. Mit einem Mal knackt der frische, unprätentiöse Groove die reservierte Stimmung auf, entspannt die zuvor eher enttäuschten Gesichter im Auditorium. „You Don`t Know What Love Is“, Sonny Rollins` „Pent-Up House“ oder „Don`t Talk“, wo Hunter die schwüle Poesie eines Carlos Santana mit der atemberaubenden Fingerakrobatik eines Wes Montgomery verschmelzen lässt, geben endlich die richtige Richtung vor: weg mit allem Unnötigen, anstatt sich noch mehr Ballast aufzuladen. Dann klappts nämlich auch mit der Innovation.