Charles Tolliver Quintet | 12.04.2014

Neuburger Rundschau | Stephanie Knauer
 

Die Atmosphäre im Neuburger Birdland vorgestern war, wie sie auch in einem New Yorker Jazzclub vorstellbar ist, wo die „echten“ Fans zum verzückten Mitgrooven hingehen, wo musikalische Sternstunden aufsteigen und Jazzgeschichte geschrieben wird. Das „Charles Tolliver Quintet“ aus Amerika, das Samstagabend gastierte, setzte sich aus mindestens drei Generationen zusammen und ihr Senior hat Legendenstatus. Der 72-jährige Trompeter Charles Tolliver spielte mit Jazzgrößen wie Jackie McLean, Horace Silver, Ron Carter und sein Element ist das freie Spiel. Von Grund auf wachsende, bis zur Ekstase, zur orgiastischen Klimax sich hochschaukelnde, wieder erschlaffende Improvisation, mit teils kaum mehr erkennbarem, genialisch verfremdetem motivischem Material war das beherrschende Element. Die Bögen, Sätze Fortsetzungen wurden weit gespannt, hätten locker noch länger sein können, wären da nicht auch andere an der Reihe gewesen, drei Nummern füllten eine Stunde und die Themen rahmten den Variationsexzess, der auch auf das Publikum übersprang, das hingerissen mitzitterte, zappte, zuckte. Begeistert waren die Besucher von Charles Tolliver, seinen auch rhythmisch interessanten Kompositionen wie „Earl´s World“, seinem versunkenen und zugleich mitteilsamen Spiel mit dem kratzig-spröden aber authentischen Ton, den Fünftonskalen, seiner Kultivierung des Anlaufs als Thema-Ornamentpartikel und der abschließenden Vollendung, seiner ureigenen aber großartigen, manchmal fragmentarisch herausplatzenden Tonsprache. Begeistert waren die Neuburger ebenso von Theo Hill, Anfang Dreißig erst und bereits „a young veteran“ der New Yorker Jazzszene, der im solistischen Scheinwerferlicht zu hyperaktiver, stets musikalisch bedingter Virtuosität mit harten, insistierenden Akkordtönen in der linken Hand entfesselt wurde, in seinem balladesken Intro bezwingende schöne Poetik entfaltete. Beeindruckend meisterliche Polythythmik zelebrierte Drummer Gene Jackson, im Quintett ein kongenial „simultandolmetschender“ Klanggesprächspartner, faszinierend beredte Sentenzen und energiereiche Läufe sprudelte Gitarrist Bruce Edwards. Jüngster war Kontrabassist Devin Starks, der unter den Kapazitäten bewundernswert souverän mithielt. Absprachen nicht Arrangements formten die Nummern, auch die Reprise wurde mal unvermittelt verlängert: Das Unvorhersehbare, original „Jazzige“ und die positive Überraschung des individuellen „Wie“ machten das Große an diesem Abend aus. Nur die elektronische Verstärkung hätte nicht sein brauchen.