Ich gehe jedes Mal beim Spielen ein Risiko ein, sagt der amerikanische Tompeter Charles Tolliver. Wenn es hinhaut, dann ist es erfreulich, wenn nicht, dann werde ich trotzdem nicht versuchen, etwas anderes, Gefälligeres, zu spielen. Sein Partner an diesem Abend im Neuburger Birdland-Jazzclub ist der italienische Pianist Antonio Farao. Und der ist im Grunde, zumindest hinsichtlich seines musikalischen Wagemuts, ganz ähnlich gestrickt. Insofern haben sich die beiden gesucht und gefunden.
Tolliver, der früher auch Free Jazz gespielt hat und in dessen Stil sich Clifford Brown und Freddie Hubbard die Hand geben, liebt die kurzen Phrasen, die messerscharf herausgeschleuderten Riffs, Farao hingegen steht für makellose Eleganz und quirlige, sprudelnde Läufe gleichermaßen. Im Grunde vertreten die beiden nicht nur verschiedene Generationen des Jazz (Tolliver ist 74, Farao 51) und haben somit höchst unterschiedliche künstlerische Sozialisationen durchlaufen, sondern stehen eigentlich auch für divergierende Herangehensweisen.
Aber eben nur eigentlich, denn beide öffnen sich, hin zum Partner, suchen für sich als sichere Bank nicht den kleinsten gemeinsamen Nenner, sondern lassen sich ein auf eine Reise in den Kosmos des Gegenübers oder treffen sich gleich auf Neuland. Schließlich sind sie ja, wie erwähnt, beide alles andere als risikoscheu. Und ja, die Sache klappt vom ersten Ton an. Bei Round Midnight, dem Klassiker von Thelonious Monk, und bei Victor Feldmans Joshua, ganz besonders aber bei des Stücken aus der Feder Tollivers. Bei dem musikalischen Höllenritt Suspicion kurz vor der Pause, bei dem mit Latin-Groove unterlegten Blue Soul, bei den mit Akzentverschiebungen und verzögernden Beats spielenden Copasetic und Stretch.
Denn nicht nur als Trompeter ist Tolliver einer der ganz Großen, sondern auch als Komponist. Sein Emperor March, mit dem er den Watschelgang der Pinguine in Töne gefasst und eine Art Filmmusik des Jazz geschrieben hat, ist ein Paradebeispiel für ein Musikstück, das man ganz einfach lieben muss. Dass Tolliver und Farao eine dermaßen hinreißende Vorstellung abliefern können an diesem Abend im Birdland, liegt natürlich auch an der Klasse der Backline mit Marco Ricci am Kontrabass und Tony Arco am Schlagzeug. Die beiden liefern einen herrlich entspannten und dennoch immens dicht gewobenen rhythmischen Teppich für die brillanten Solisten. Wobei der an sich exzellente Tony Arco freilich ab und an zu einer Heftigkeit neigt, derer seine Kollegen sich mitunter nur mit Mühe erwehren können. Was aber eine Marginalie bleibt, wenn man den Abend in seiner Gänze betrachtet. Und so kann man denn auch dem Publikum gratulieren zu dessen Risikobereitschaft, sich auf das Wagnis dieses Konzerts eingelassen zu haben.