Charles Lloyd – Vorschau | 03.06.2003

Donaukurier | Reinhard Köchl
 

Es ist die Aura des Geheimnisvollen, die ihn umgibt. Der Nimbus des Aus- und Wiedereinsteigers, des Nonkonformisten, eines Mannes, der sich weitgehend von den Mechanismen des Business abgenabelt hat, und Sonderlings, den viele längst nicht mehr auf ihrer Rechnung hatten.

Die Geschichten über den Eremiten am Tenorsaxofon transportieren seit Jahren die selben Klischees und zeichnen ein diffuses, im Nebel von Räucherkerzen verschwimmendes Bild. Dabei will Charles Lloyd eigentlich gar niemanden bekehren, sondern in verwirrenden Zeiten wie diesen einfach nur helfen. Mit seiner Musik, die Kritiker für die perfekte Harmonisierung von Tradition und Vision im Jazz halten, mit seinem unvergleichlichen Saxofon, dessen Sound sich fernab aller konventionellen Beschreibungen bewegt. Was kaum jemand, nicht einmal seine eigene Plattenfirma, für möglich gehalten hat, wird nun tatsächlich am Dienstag, 3. Juni, Realität: Der selbsternannte „Loner“ verlässt für der wenigen Momente seine in einer Einöde nahe des kalifornischen Santa Barbara gelegene Hazienda, dort wo sich Kojote und Klapperschlange gute Nacht sagen, um im Neuburger „Birdland“-Jazzclub das „Immens“-Festival zu Ehren Attila Zoller zu beschließen (20.30 Uhr).

Seit Wochen gibt es keine Karten mehr, doch die Nachfragen bei „Birdland“-Boss Manfred Rehm wollen nicht abreißen. Ein Konzert Lloyds besitzt für Anhänger der modernen Musik den Seltenheitswert eines Auftritts von Springsteen oder Jagger. Denn der Mann reiht nicht einfach Solo an Solo, sondern hebt jedes Thema auf eine völlig neue Wahrnehmungsebene.

Mit 65 steht die Lichtgestalt endlich da, wo ihn seine zahlreichen Fans längst sahen: im Olymp der populären Musik. Denn bereits in den 60ern, als der klassische Jazz Gefahr lief, sich mit intellektuellen und politischen Zielen zu überfrachten, hob das in Memphis geborene Riesentalent diese Gegensätze nahezu spielerisch auf.

Lloyd war der erste Popstar des Jazz. Sein Album „Forest Flower“ verkaufte sich über eine Million Mal und zog auch das große Rockpublikum an. In der Hochphase des Kalten Krieges 1967 gastierte er in der Sowjetunion und mutierte zur Symbolfigur der Flower-Power-Bewegung. Mit seinem legendären Quartett um Keith Jarrett füllte er Rocktempel wie das Fillmore in San Fransisco, wo er mit den Greatful Dead, Jimi Hendrix, Jefferson Airplane oder Janis Joplin auftrat. Sein Sax erklang bei geschichtsträchtigen Sessions mit den Doors, Canned Heat, den Beach Boys oder Harvey Mandel.

Als Love & Peace dem nüchternen Pragmatismus der 70er weichen mussten, folgte Lloyds kreativer Abstieg. Eine Phase der Ernüchterung, der Selbstfindung. „Ich bin damals in die Einsamkeit Kaliforniens gegangen, in die Nähe von Big Sur, weit entfernt von den nächsten Menschen, und habe begonnen zu meditieren,“ flüstert die asketische Erscheinung am Telefon. „Ich habe viel gelesen, mich in asiatische Philosophien vertieft, die Weltreligionen studiert. Es war ein einsames, zurückgezogenes, aber glückliches Leben.“ 1982 gab es das erste Comeback, als sich Charles von dem 18-jährigen französischen Nobody Michel Petrucciani überreden ließ, von seinem Berg herabzusteigen, 1989 das zweite unter dem Patronat der Münchner Plattenfirma ECM.

In jenen Jahren erkannte „Siva“ (so nennt ihn sein Guru Sri Ramakrishna), dass es nicht um Jazz oder eine andere Schublade ging, sondern einzig darum, aus der Summe der Einsichten die „Essenz der Schönheit“ zu destillieren. „Wir brauchen Liebe und die Weisheit jedes einzelnen Individuums,“ doziert Lloyd, dessen aktuelle CD „Lift every Voice“ (ECM) unter dem Eindruck der Terroranschläge auf das World Trade-Center und die daraus entstandenen Konsequenzen für die Weltpolitik entstanden ist. „Cowboy-Politiker allein können dieses Problem nicht lösen.“

Deshalb wird er am Dienstag zusammen mit der wunderbaren Pianistin Geri Allen auf der „Birdland“-Bühne in einem zeitlosen Vakuum von Klang und Spiritualität versuchen, die Menschen zu wärmen. Mit einem lichtgleichen Saxofonton der sich fortpflanzt und wie ein Plan gegen das weltweite Chaos wirkt.