Charles Lloyd Quartet | 03.06.2003

Neuburger Rundschau | Dr. Tobias Böcker
 

Zum Schluss des Attila Zoller Festivals und zum Saisonende gab’s noch einmal einen absoluten Höhepunkt im Jazz-Mekka an der Donau. Mit dem charismatischen Saxophonisten Charles Lloyd gastierte wiederum ein Musiker im familiären Keller unter der Hofapotheke in der Neuburger Altstadt, um den sich so manche weit größere Bühne vergeblich bemüht.

Wo anders wäre Charles Lloyd in den letzten Jahren so hautnah und rein akustisch zu hören gewesen? Wo anders wäre die musikalische Schaffenskraft, die abgeklärte Mittigkeit und die bezwingende Aura des 65jährigen derart unmittelbar zu erleben gewesen? Des Meisters luftiger Ton ist wie ein mit dem Aquarellpinsel hingehauchtes Fragezeichen an die vermeintlichen Selbstverständlichkeiten der „zivilisierten“ Welt. „Go down, Moses“: Wer nimmt es noch wahr, das Volk, das der Befreiung harrt in allen Teilen der Welt, ausgebeutet von den Pharaos der globalisierten Moderne in kaum vernommener Klage? „Let my people go!“ Nicht, dass hier Missverständnisse aufkommen von Onkel-Tom-seliger Romantik wohlfeiler Betroffenheitsrhetorik. Charles Lloyd spielt modernen Jazz an den Grenzen der Freiheit, die Suchbewegungen seiner hymnischen Soli wirken bei aller Abgeklärtheit, die der 65jährige ausstrahlt, nie fertig, nie satt, nie zufrieden oder gar selbstgefällig. Da ist einer, der bei aller Suche nach Identität, Mitte und Spiritualität nicht vergisst, dass solche nur gelingen kann im Blick auf den Anderen, auch im Jahre 2003. Charles Lloyd hat sich nach dem 11. September 2001 intensiv mit der Identität der westlichen Welt auseinandergesetzt, geht ihr auf den Grund: fragend, mahnend, auch klagend, nie jedoch theatralisch, sondern in einer Verletzlichkeit, wie sie nur ein Großer auf die Bühne zu bringen versteht, wie sie allerdings auch für eine fast hermetische Einsamkeit sorgt. Keine fertigen Weisheiten, keine Doktrin, keine endgültige Erkenntnis, nur die Vision des Humanen trägt Lloyds Improvisationskunst in ihren besten Momenten sokratischen Nichtwissens. Im Laufe des Sets steigert er sich in zunehmende Freude am Spiel, lüftet ein wenig den Mantel der Unnahbarkeit, der ihn umhüllt, lässt teilhaben am puren Akt kreativen Flusses. An dem keinem geringen Anteil hat die großartige Panistin Geri Allen, die auf den 88 Tasten des Bösendorfers ein Fest der Freiheit zelebriert, in dem ein ganzer Kosmos tanzt. Für Groove in filigraner Rhythmik und selbstbewusster Akzentuierung sorgt Drummer Eric Harland, für Erdung und seinerseits brodelnde Soli Bassist Robert  Hurst. „You are so beautiful“ – ein schönerer Abschluss des Zoller-Festivals ist kaum denkbar, als ihn das Charles Lloyd Quartet dem Publikum im Birdland schenkte.