Vor exakt genau sechs Jahren, im Januar 2019, stand das Publikum im Neuburger Birdland Jazzclub schon mal vor einer ähnlichen Situation. „Ihr seid unsere Versuchskaninchen“ hieß es damals und „Wir würden gerne wissen, wie Sie darauf reagieren“ ruft Cécile Verny diesmal ihrem Publikum zu. Sie eröffnet seit einen knappen Jahrzehnt regelmäßig zusammen mit ihrer Band das Konzertjahr, wie immer mit zwei Auftritten hintereinander, wie immer vor zweifach ausverkauftem Haus.
Damals wollten sie sowie Bernd Heizler (Kontrabass und diverse E-Bässe), Andreas Erchinger (Klavier und diverse Keyboards) und Lars Binder (Schlagzeug, Perkussion) eine ganze Reihe neuer Songs testen, was kurze Zeit später das herausrangende Album „Of Moons And Dreams“ zur Folge hatte. Diesmal ist die Ausgangslage ähnlich. Es wird Zeit für einen neuen Tonträger, die Songs sind geschrieben und im heimischen Studio für tauglich befunden worden und nun geht’s zum Härtetest auf die Bühne. Dafür wurde das Birdland-Publikum ausgewählt, das bekannt dafür ist, mit Sachverstand aber auch mit dem Herzen abzustimmen über das, was seiner Meinung nach auf CD erscheinen oder ins reguläre Liveprogramm übernommen werden sollte und was besser nicht. Enthusiastischer, durchschnittlicher oder verhalten-höflicher Applaus. Man kann daran ziemlich genau ablesen, was ankommt. In diesem Fall so gut wie alles.
Die vergleichsweise wenigen alten Nummern im Programm, um die sich die neuen ranken, sind quasi gesetzt. Verny hat die besten von ihnen ausgesucht. „The Bitter And The Sweet“, „As Soon As They Have All Aligned“ und „Birds In Your Heart/Hear I Call“ sind nach wie vor echte Granaten, auch in ihrer runderneuerten Form. Die Band hat sie deutlich umarrangiert, weil selbst gute Songs sich in über die Jahre gleichbleibenden Ver-sionen irgendwann abnutzen würden. Sie ergeben das stabile Gerüst für das Restprogramm, das wieder einmal die immense stilistische Bandbreite der Band zeigt und eine Sängerin, die sich in den Bereichen, Jazz, Funk, Soul, Pop und Chanson absolut großartig zu bewegen weiß. Man muss mit ständigen Richtungswechseln rechnen, hat eben noch entspannt mitgegroovt bei „Where Do They All Go“ und „I’ll Never Let You Go“ und sieht sich abrupt intimen Vertonungen von Wadsworth, Blake, William Butler Yeats und Paul Verlaine gegenüber, wunderschön vertonter und gesungener Lyrik also, während der der Birdland-Keller kollektiv den Atem anhält. Jeder im Saal ist einerseits durchaus gefordert, wird neugierig gemacht auf jederzeit mögliche Überraschungen, erhält aber auch immer wieder Zeit, sich zurückzulehnen und einfach nur zu genießen. Und das Publikum nimmt die ihm zugedachte Rolle als vielköpfige Jury einmal mehr gerne an und besteht am Ende ausdrücklich auf zwei Zugaben.
Das Gesamtpaket mit all den neuen Songs bestehtseine Feuertaufe mit Bravour. Der erste der beiden Konzertabende – denn um den geht es hier – ist eine Wohltat für Seele und Intellekt, macht neugierig auf das wohl in Kürze zu erwartende neue Album der Band und ist wieder einmal ein Beleg dafür, dass man kein Jazz-Abitur ablegen muss, bevor man einen Club wie das Birdland betritt. Wenn Entertainment und Anspruch eine Symbiose eingehen, kommen Abende wie dieser dabei heraus.