Cécile Verny Quartet | 06.01.2023

Neuburger Rundschau | Reinhard Köchl
 

Kein Konzert symbolisiert derart exemplarisch den Wandel, dem ein vitaler Kulturträger wie der Birdland Jazzclub Neuburg seit Jahrzehnten als Fels in der Brandung des Zeitgeistes trotzt, wie dieser schon traditionelle Türöffner ins neue Konzertjahr. Es ist ein Wandel in der Kontinuität, am besten abzulesen an der Metamorphose des Quartetts der Sängerin Cécile Verny. Zum inzwischen 16. (!) Mal in ununterbrochener Reihenfolge obliegt dem beliebten Vierer um die französische Vokalistin mit afrikanischen Wurzeln schon in einem (natürlich abermals jeweils ausverkauften) Doppelkonzert die ehrenvolle Aufgabe, den Startakkord für eine Saison erklingen zu lassen, in der sich einmal mehr eine weite Range aus jazznahen, aber auch eher -fernen Stilen über dem Publikum ausbreiten soll.

Denn der Jazz ist längst nicht mehr ausschließlich auf Swing oder Bebop zu reduzieren, auch beschränkt er sich kaum noch auf schroffen Blues oder zärtliches Balladenspiel, auf hippe Improvisationsorgien oder solistische Alleingänge. Er wird zum Spiegel dessen, was Menschen im 21. Jahrhundert gerne hören. Ein bisschen Anspruch darf es freilich schon sein, und da passt der Jazz als Vehikel für diese multiple Geschmackspalette geradezu perfekt. Irgendwie steht dafür auch die klassische Verny-Mischform, die mal mit lupenreinem, akustischen Vocaljazz, Standards und hübschen Swingnummern als Basis begann und sich im Laufe der Jahrzehnte immer weiter auf die Ränder des Genres ausdehnte.

Wenn Bassist Bernd Heitzler den Kontrabass zum Beispiel mit der Bass-Gitarre oder einer halbakustischen Gitarre vertauscht, wenn Pianist Andreas Erchinger sich mit einer 90-Grad-Drehung seines Klavierhockers vom Bösendorfer-Flügel dem Fender Rhodes-E-Piano oder seinem Keyboard zuwendet, oder wenn Schlagzeuger Lars Binder seine feinen Becken-Viertel in ein rollendes Rock-Drumming überführt, dann signalisieren die Musiker jedem, dass Jazz nicht mehr das alleinseligmachende Kriterium sein muss. Natürlich vergrößern sie damit automatisch auch ihre Zielgruppe, bedienen diejenigen, die normalerweise einen weiten Bogen um den klassischen Jazz machen. Sie locken schlicht mehr Menschen an. Und genau darauf kommt es heute an, um im Geschäft zu bleiben – nicht um zu überleben, denn das könnten die vier als reines Jazz-Quartett genauso gut. Verny, Heitzler, Erchinger und Binder haben einfach einen Weg gefunden, um möglichst lange möglichst ausdauernd ein gefragter Act zu bleiben – siehe Neuburg.

Inmitten all dieser zentrifugalen Kräfte muten unauffällige, unaufwändige Songs wie „The Falling Of The Leaves“ oder „I Heard An Angel Singing“ schon fast wie wärmende Öfchen in einer zunehmend kälter werdenden Umgebung an. Man muss kein Purist oder Ewig-Gestriger sein, um das viel besser, viel schöner zu finden, als den immer mächtiger werdenden Teil des Konzertes, den wilde, stilistisch kaum einzufangende Themen wie „Lord Have Mercy“ oder „My Steps Their Beat“ für sich in Anspruch nehmen, bei denen Cécile Verny wechselweise wie eine charismatische Rockröhre oder eine schamanische Zauberin agiert. Dabei ist die 54-Jährige immer noch eine erstklassige, ausdrucksstarke und vor allem technisch über jeden Zweifel erhabene Sängerin, die es versteht, Träumen Gestalt zu verleihen. Sie kann wie bei ihrem allerersten Birdland-Konzert 2004 nach wie vor exzellent scatten, über Melodiebögen surfen oder Worte zu faszinierenden Geschichten modellieren. Verny ist dann am besten, wenn sie ganz bei sich bleibt, keine andere sein will, sondern wieder Mädchen, Mutter oder singende Liebhaberin. Womit sie damit automatisch auch ihrer erstklassigen Band einen gehörigen Schub Rückenwind für den Abend verleiht.

Natürlich gibt es wieder reichlich Applaus, auch zu Recht, natürlich stimmen die Leute im Hofapothekenkeller am zweiten Tag sogar noch ein schräg-herzliches „Happy Birthday“ für Pianist Andreas Erchinger an, natürlich erklatschen sie sich wie in all den Jahren zuvor drei Zugaben. Dabei erklingt unter anderem „The Garden Of Love“, ein Stück, das irgendwie alles auf den Punkt bringt, weil es einfach alles sein will: Rock, Pop, Blues, Funk, Folksong, Ballade und irgendwo noch ein bisschen Jazz. Aber es bleibt nun mal bei der Binsenweisheit: Ein Stil, eine Wahrheit. Im Jazz ganz allgemein, bei Cécile Verny speziell und beim Birdland Neuburg ganz besonders.