Wir können nicht so gut zählen, meinte die Sängerin Cécile Verny im Birdland Jazzclub, wir haben erst dem Programmheft entnommen, dass wir schon zum 14. Mal das neue Jahr in diesem wunderschönen Kellergewölbe eröffnen dürfen. Die Jazz-Legende mit der unglaublich facettenreichen, dunklen und strahlenden, starken und sanften, expressiven und geheimnisvollen Stimme kokettiert da ein wenig: Natürlich weiß sie genau, was ihr Cécile Verny Quartet für die Kulturszene in Neuburg bedeutet und wie viele Jazz-Liebhaber sich gerade auf diesen Auftritt jedes Mal wieder freuen.
Aus zwei Gründen: Verny selbst und ihre Mitstreiter Andreas Erchinger (Piano), Lars Binder (Schlagzeug) und Bernd Heitzler (Bass) garantieren für einen unverwechselbaren, bestens bekannten und doch immer frischen, auf den Punkt präsenten Sound. Und diese Combo überrascht die Zuhörer gerne mit aufregend neuen, auch herausfordernden Stücken in einer singulären Kombination aus Rock, Funk, Folk und anderen Regionen des ganz großen Jazz-Kosmos.
Der schillernde Begriff des Gesamtkunstwerks trifft es vielleicht am besten. Die Texte haben Tiefgang, sie sind in der bei aller Emotion klaren Artikulation von Cécile Verny auch wirklich zu verstehen. Die drei Instrumentalisten haben nicht oft Gelegenheit, mit virtuosen Soli zu glänzen, ihre Stärke liegt in der feinen Musikalität, in der Art, wie sie die Sängerin Cécile Verny nicht nur begleiten, sondern förmlich tragen zu einer beschwingten Leichtigkeit – oder sich mitreißen lassen bei dramatischen Ausbrüchen. Und wie sie bei den Geist dieser Musik erfassen.
Das ermöglicht funkelnde Preziosen: Etwa die Komposition „Talkin`, talkin`, talkin` …“, ein Stück über das Phänomen, dass manche Leute immerzu reden, aber so gut wie nichts sagen. Köstlich, wie der Mann am Piano im Ostinato-Stil trocken und leicht entnervend das Wortgeklingel in Töne umsetzt, wie der Schlagzeuger und der Mann am E-Bass die eitle Selbstverliebtheit karikieren – und wie die Sängerin darüber ihre Melodiebögen zaubert, die genau das Gegenteil eines immerwährenden Palavers sind. Die Welt nicht, wie sie ist, sondern wie sie besser sein könnte.
Oder die Cécile-Verny-Adaption der Variation Nr. 15 aus Johann-Sebastian Bachs gigantischem Goldberg-Zyklus, eine Komposition von Andreas Erchinger. Respekt vor dem nicht zu übertreffenden Original und der Mut, ja eine gewisse Frechheit des heutigen Jazz-Könners
gehen ineinander. Die Sängerin und das Instrumental-Trio machen sich herzerfrischend an ein musikalisches Heiligtum heran, ohne sich daran zu vergreifen.
Warum Cécile Verny seit langem als eine der besten Jazz-Sängerinnen gelten darf, wird im Birdland in allen Dimensionen erlebbar. Diese Stimme kann im Pianissimo einen einzigen Ton über schier unendliche Zeit zelebrieren, sie kann warme Melodiebögen in den Raum stellen, sie kann fauchen und zischen, tiefe Traurigkeit und Verzweiflung in der Stimme binnen weniger Takte in eine ganz andere, freie und friedliche Klangwelt verwandeln.
Die Balladen aus dem Fundus afrikanischer Folk-Musik und vor allem die musikalische Erinnerung an Vernys westafrikanische Heimat („Je ferme les yeux“) zählen zu den schönsten Momenten des Abends. Mit sehr einfachen, wenigen Motiven erschaffen die Sängerin und der Pianist eine fremde und emotional doch sofort zugängliche musikalische Welt. Abschiedsschmerz, Sehnsucht, Dankbarkeit und eine Anmutung von Glück – all dies ist zu spüren und zu hören. Aber eben in einer Weise, die von Kitsch und billiger Gefühligkeit weit entfernt ist. Da vergisst man gerne, dass zuvor gelegentlich E-Bass und Schlagzeug ein wenig laut über die Rampe gekommen waren.