Cécile Verny – European Songbook | 20.10.2005

Donaukurier | Reinhard Köchl
 

(Audi Forum Ingolstadt)

Das war überfällig! Endlich einmal mit dem jazzgefärbten Finger dorthin zu zeigen, wo nicht minder edle Rohstoffe schlummern, wo sich Saxofonisten, Trompeter, Pianisten und Stimmvirtuosen von jeher bedienen, ohne groß darüber nachzudenken.

Wie oft haben wir das schon in einem swingenden oder improvisierenden Konzert gehört: Dieses oder jenes Stück stamme aus dem „Great American Songbook“. Dass die Amerikaner dabei sogar stillschweigend einen Deutschen wie Kurt Weill mit seinem „Mack The Knife“ (Im Original: „Die Moritat von Mackie Messer“) oder dem traurigen „Lost in the Stars“ vereinnahmt haben, fällt erst auf, als Cècile Verny dies im Rahmen ihres „European Songbook“ im Museum Mobile des Audi-Forums erwähnt.

Ein großartiges, ein wichtiges Projekt. Weil mit dieser großartigen und immer wichtigeren Sängerin zum ersten Mal jemand die mannigfaltigen Verdienste europäischer Frauen und Männer für den Jazz ins rechte Licht rückt. Ein Abend voller Aha-Effekte. Nun wissen auch die Zuhörer im Audi-Forum, dass der All American-Standard „Autumn Leaves“ mitnichten aus der Wiege des Jazz stammt, sondern von Joseph Kosma und Jacques Prevert eigentlich als „Les Feuilles Mortes“ für einen schicksalhaften Yves-Montand-Film geschrieben wurde. Dass es von Charles Trenets „La Mer“ 4000 Versionen gibt, dass der Italiener Bruno Martino für den immer wieder nach Brasilien verschleppten Edel-Bossa „Estate“ verantwortlich zeichnet. Oder dass der Österreicher Josef (Joe) Zawinul mit „Mercy Mercy Mercy“ die Souljazz-Hymne des 20. Jahrhunderts schuf. Ansonsten gäbe es da noch Sascha Distel, Toots Thielemans oder Michel Legrand: Genügend hochrangiges Potenzial, um in der alten Welt einen fruchtbaren Nährboden für den Jazz zu bereiten.

Cècile Verny ist an der Elfenbeinküste aufgewachsen, Tochter einer Französin und eines Togoers und wohnt heute im Breisgau. Eine Kosmopolitin, nicht nur im europäischen Sinn. Und eine fein nuancierende, klar, unaufgeregt und grandios intonierende Vokalistin mit einem Sensor für den Nerv, die jeweilige Stimmung eines Liedes. Sie überzieht nicht, sondern dosiert, lässt ihre Band um den Pianisten Andreas Erchinger, den Drummer Torsten Krill sowie den unaufdringlich, aber omnipräsent begleitenden Bassisten Bernd Heitzler jeden Raum. Drei bärenstarke Bläser (Sébastian Jarrousse, Tenorsaxofon, Matthias Erlenwein, Altsaxofon und Flöte, sowie Lukas Fröhlich, Trompete) verfeinern die prickelnden, völlig neuen Arrangements (Michael Abene, Michael Gibbs, Carine Bonnefoy, Ralf Schmid) nahe in Richtung Perfektion, ohne dabei je den Verdacht der Sterilität heraufzubeschwören.

Das Pegel schwankt zwischen Reduktion und Vollgas, Zehenspitzengang und wildem Tanz, atemloser Stille und stürmischer Begeisterung. Es ist die Sorgfalt der Verny, ihre spürbare innere Anteilnahme, gepaart mit einer frappierenden Bühnenpräsenz, die dieses Projekt zu einem echten Erlebnis geraten lassen. Einer wunderbar einvernehmlichen Europäischen Union des Jazz.