Camille Bertault Quintet | 17.10.2025

Donaukurier | Karl Leitner
 

Es ist eines dieser Kon­zerte, wie sie nur alle paar Jahre mal vor­kommen. Ist der letzte Ton verklungen, ist man zuerst einmal sprachlos. Um sich anschließend die Frage zu stellen: Was war das denn? – In diesem Falle freilich hätte man vorgewarnt sein können. Hatte nicht Camille Bertault, das Stimmwun­der aus Paris, im Februar 2022 zusam­men mit dem Pianisten David Helbock bereits ein umjubeltes Konzert im Bird­land gegeben und ihre Ausnahmestellung als Sängerin, Stimmakrobatin und Pow­erfrau bewiesen? Ja, man hätte es wissen können, und viele taten das wohl auch, denn das Birdland ist rappelvoll bei die­sem Konzert, das der Bayerische Rund­funk im Rahmen des Birdland Radio Jazz Festivals mitschneidet.

2022 noch hatte sich Bertault, abgese­hen von den schier unbegrenzten Mög­lichkeiten, die ihr ihre Stimme bietet, auch noch elektronischer Hilfsmittel, akustischer Effekte und technischer Ge­rätschaften bedient, um ihre teils bissi­gen, teils melancholischen oder auch witzigen Texte ins rechte akustische Licht zu rücken. Heute steht ihr statt des­sen eine erstklassige Band mit Julien Alour (Trompete, Flügelhorn), Fadih Fa­rah (Piano), Christophe Minck (Kontra­bass) und Minino Garay (Schlagzeug) zur Verfügung, die nur eines im Sinn hat, nämlich gemeinsam mit ihr diesen Saal zu knacken und den Abend in ein Fest zu verwandeln. Was dem Quintett auch pro­blemlos gelingt. Mit wunderschönen Kompositionen, mit exzellenten Musi­kern, mit Bertault’s Charme, ihrem Selbstbewusstsein, ihrer enormen Ener­gie und vor allem mit dieser Stimme. Bereits mit dem Titelsong ihrer aktuellen CD „Bonjour Mon Amour“ hat sie das Publikum um den Finger gewickelt, das ihr sofort bedingungslos ergeben ist, zwei Sets und drei Zugaben lang.

Es liegt viel Poesie in der Luft, wenn Bertault in „Dodo“ von ihrer Katze singt und in „Ma Muse“ ihre Liebe zur Musik in Worte und Töne fasst. Es liegt viel Pop in der Luft, auch Rap, auch Funk, auch das französische Chanson, Jazz so­wieso. Die Grooves sind markant und eindringlich. Keiner sitzt im Saal, der nicht mit irgendeinem Körperteil mit­wippen, den diese Mischung aus Tanz, Pose, Körperlichkeit und Sensibilität nicht berühren würde, der von der Performerin, Tänzerin und Schauspielerin, der Jazz-Scatterin und Vier-Oktaven-Diva – all diese Disziplinen und Rollen hat Bertault von der Pieke auf gelernt – nicht fasziniert wäre. Es ist, als betrachte sie das Birdland als eine Art Abenteuer­spielplatz. Alles ist erlaubt und alle, die anwesend sind, sollen ihren Spaß haben, auch sie selbst.

Wobei befreites Herumtoben mitunter ja auch schief gehen oder gefährlich werden könnte. Nicht bei ihr. Wenn Ber­tault etwa Themen eines Hermeto Pas­coal oder eines Johann Sebastian Bach unisono mit dem Pianisten oder dem Trompeter in den Saal schmettert in ei­nem Tempo, bei dem man mit dem Hö­ren kaum mitkommt, wenn sie als Kehl­kopf- und Stimmband-Artistin einen Purzelbaum nach dem anderen schlägt, dann geschieht das dermaßen souverän und sicher, dass man nur noch mit offe­nem Mund dasitzen kann. Mit der ein­gangs gestellten Frage „Was war das denn?“ im Hinterkopf. Wobei die Ant­wort im Grunde ganz einfach ist. Das war das Konzert der – neben Tamara Joy, ebenfalls 2022 – beeindruckendsten Sän­gerin, die im Birdland in den letzten Jahren zu hören war. Und das will etwas heißen angesichts der dortigen Gästeliste.