Mit dem Quartett der aus Nigeria stammenden und im Vereinigten Königreich lebenden Altsaxofonistin Camilla George, einem der derzeit angesagtesten Acts der Londoner Jazzszene, biegt das 14. Birdland Radio Jazz Festival ein in die Zielgerade. Man könnte auch vom Auftakt zu einem „heißen“ Wochenende sprechen und träfe damit voll ins Schwarze, denn obwohl George, Pianist und Stimmakrobat Renato Paris, Kontrabassist Daniel Casimir und Schlagzeuger Rod Youngs sich ziemlich cool geben, legen sie doch zwei Sets mit absolut heißer Musik hin.
Natürlich kommt auch George, in deren musikalischer Sozialisation Nigeria und der Schmelztiegel London gleichermaßen ihre Spuren hinterlassen haben, an Giganten wie Charlie Parker und John Coltrane nicht ganz vorbei, aber sie ist eben auch mit African Highlife und Fela Kuti große geworden, hat später Elemente des Northern Soul britischer Ausrichtung, des klassischen Cool- und Soul-Jazz und des HipHop in sich aufgesogen und ist vor allem auch Botschafterin ihres Volkes, der Ibibio, sieht sich in deren Mythologie ebenso verwurzelt wie in der Musiktradition Westafrikas.
Letztere geht mit all den polyrhythmischen Figuren des Drummers und des Bassisten, mit Paris‘ gescatteten und sparsam mit Klavierakkorden unterlegten Vokallinien und natürlich mit dem sehr direkten Spiel Georges eine Verbindung ein mit dem Sound der Jetztzeit. Auf ihren Alben „The People Could Fly“ und „Ibio-Ibio“ tut sie das mit Hilfe von E-Gitarren, E-Bässen, Bläsern und Keyboards, mit elektrischer Unterstützung also, was ihre Stücke in ihrer CD-Version mitunter durchaus auch in die Nähe des Fusion-Jazz rückt. Im Birdland freilich präsentiert sie „Tappin‘ The Land Turtle“, „The Most Useful Slave“ und „How Nehemiah Got Free“ in akustischem Sound, trägt also der speziellen Akustik und der Größe des Clubs Rechnung.
Wer die Musik Camilla George’s hört, landet unweigerlich bei Begriffen wie Spiritualität oder Mystik. In „Abasi Enyong“ und „Abasi Isang“ geht es um den Gott im Himmel und den Gott der Erde, in „Ekpe“ um eine geheime Parallelgesellschaft in Nigeria und in „The People Could Fly“ um den in einigen Stämmen Westafrikas verwurzelten Glauben an die menschliche Fähigkeit des Fliegens in einer künftig besseren Welt, der sich mit der Sklaverei und der damit einhergehenden Gefangenschaft allerdings zerschlagen hat. Wer über die Musik George’s hinausschaut, der merkt sehr schnell, dass sie trotz ihrer Emigration nach wie vor mit ihrer eigentlichen Geschichte verbunden und politisch motiviert ist. Eine in hohem Maße interessante, mitreißende und höchst kompetent arrangierte Spielart des Jazz trifft auf eine Künstlerpersönlichkeit, die Haltung zeigt und für sie eintritt, die das Essenzielle höher bewertet als vordergründigen Budenzauber, den es mitunter leider ja auch gibt, wenn es um Musik mit afrikanischen Einflüssen geht.
Nachzuhören ist das Konzert des Camilla George Quartets in Ausschnitten am heutigen Samstag im Rahmen der Jazznight aus dem Birdland ab 22.30 Uhr über BR-Klassik und anschließend ab 0.00 Uhr über Bayern 2 sowie am Freitag, 17. Januar, ab 23 Uhr über BR-Klassik.