Buster Williams Quartet feat. Mulgrew Miller | 24.11.2000

Donaukurier | Reinhard Köchl
 

Im ersten Set verwischen die Dimensionen in Sekundenschnelle, zerbröseln Stilgrenzen zu schwerelosen Atomen, verschmelzen 100 Jahre Jazzgeschichte in einem einzigen Thema. Das vollbesetzte „Birdland“ hält den Atem an, um nur ja keine der vielen puzzleartig verstreuten Nuancen dieser atemberaubenden Performance zu verpassen.

Buster Williams` Gastspiel mit einer Allstar-Formation im Neuburger Jazzkeller beginnt wie ein akustisches Erdbeben, dessen Wucht jeden unmittelbar in den Sessel drückt. Aus dem Epi-Zentrum dringen schwere, rauhe, ungeschliffene Töne, schleppen sich Nummern wie „Tokudo“ hinter einem dunklen Wall aus verschränkten Lyrismen und Zitatfragmenten hypnotisch swingend dahin, bis sie schließlich mit ihren unaufhörlichen Wiederholungen in einem hypnotischen Strudel versinken. Schweiß rinnt durch diese Kopfmusik, literweise.

Manchmal wirkt das Zusammenspiel von Williams, dem Saxofonisten Steve Wilson, dem Pianisten Mulgrew Miller und dem Drummer Lenny White wie eine Unplugged-Variante der elektrischen Soundexpermiente eines Miles Davis aus den 70ern. Ein Höllengebräu in erträglicher Lautstärke, dem Wilson, dieser geheimnisvoll-inspirierte maghrebinische Rufer im Zeittunnel des Jazz, gerade am Soprano manch bittersüße, staubtrockene Zutat beimengt. White, der einst gar Miles Davis bei seinen „Bitches Brew“-Grenzgängen begleitete, hetzt, treibt, kreuzt und verbindet mit verwirrenden Rhythmuswechseln, während der wunderbare Mulgrew Miller vor allem in balladesken Passagen reihenweise harmonische Sterne auf seiner Tastatur funkeln lässt.

Der eindrucksvollste Part obliegt jedoch dem Bandleader, der gerade mit seinem klassischen Hintergrund-Instrument Akzente setzt, wie noch kein Tieftöner im „Birdland“ vor ihm. Die fremdartige Fassung von „All of You“ eröffnet mit einem fetten, umher torkelnden Basslauf, der in einen leicht fließenden, aber nie gefälligen Groove mündet. Beim zehnminütigen Solo „Summertime“ lässt Buster Williams dumpfe Gerölllawinen mit seiner mächtigen Klaue vom Steg purzeln oder konstruiert Walkinglinien von der Anmut eines gerade erblühten Mohnfeldes.

Warum die Brisanz freilich nach der Pause jäh abebbt, weiß niemand so genau. Plötzlich plätschert das zuvor fulminante Konzerterlebnis nur noch mit angezogener Handbremse dahin. Nobel, routiniert, fast bieder spulen die vier (mit Ausnahme des ergreifenden „Every Time we say Goodbye“) ihren Part ab und enden schließlich mit den obligaten, aber wenig aufregenden Monk-Zugaben: Opium für`s heftig irritierte Mainstream-Volk. Eigentlich schade. So verhungert eine kühne Illusion auf halber Strecke.