Brian Lynch Quartet | 11.10.2002

Donaukurier | Reinhard Köchl
 

Zumindest für europäische Ohren klingt Hardbop wie New York eben nun mal klingt. Das für Reizkombinationen dieser Art durchaus empfängliche Unterbewusstsein hat die zischende, züngelnde Melange aus Soul, Blues und Swing bislang tausendfach als Soundtrack für die Skyline Manhattans, den Central Park, die dunklen Straßen der Bronx, das multikulturelle Gewirr Brooklyns und das verruchte Flair von Harlem gespeichert. Und nirgendwo anders trägt die improvisierte Musik tatsächlich schmutzigere, staubigere, originärere Züge als hier.

Dass Brian Lynch, obwohl in Illinois geboren, alles Gute und Schlechte der Stadt, die angeblich niemals schläft, absorbiert, spürt der geneigte Hörer bei jeder aus seinem Schalltrichter sprudelnden Note. Auf der Bühne des Neuburger „Birdland“-Jazzclubs öffnet sich ein Hardbop-Almanach voller Weisheit und Traditionsbewusstsein, ein Stück glorreicher Vergangenheit und nebulöser Zukunft. Mit jedem Solo, das der 46-Jährige und sein Quartett in zweieinhalb abwechslungsreichen Stunden beseelt und Millimeter genau auf der brennenden Brücke zwischen altem und neuem Jazz platzieren, wächst jedoch auch die Gewissheit, dass heute kaum jemand mehr das Risiko solch schweißtreibender Filigranarbeit eingehen mag.

Insofern wirken Lynch und Co. wie eine vergessene Kaderschmiede aus den glorreichen Anfangsjahren des Kultlabels „Blue Note“, jener Zeit, als Art Blakey, der Entdecker des Wundertrompeters mit dem intellektuellen Habitus und dem schütteren Haar, den Hardbop erst salonfähig machte. Blakeys Erbe ausschließlich zu bewahren, wäre für einen wie Lynch freilich viel zu wenig. Er bereichert es mit aktuellen Strömungen, lässt Schlagzeuger Neal Smith scheppernd-groovende Rockpatterns und kreiselnde Salsa-Rhythmen einstreuen und freut sich diebisch über die Resultate, die man vielleicht Hip-Bop oder Hard-Funk nennen könnte.

Dennoch bleibt Brian Lynch immer dicht an seinen Inspirationsquellen, zitiert aber nicht mehr sklavisch seine großen Vorbilder Woody Shaw, Lee Morgan, Blue Mitchell, Charles Tolliver und Booker Little. Mittlerweile offeriert der Mann einen eigenen, unverwechselbaren Stil; ein Alleskönner mit gesunder Aversion gegen das Schaulaufen, mit schlichten, wunderschönen Chorussen, schneidender Kontur, butterweichem Hauch, Tempiwechsel, peitschenden Riffs. Seine Trompete stürzt sich nicht in ehrgeizige Akrobatik, sondern liebt die stille Verzauberung. Manchmal trägt sie Züge eines bunt schillernden Kraftwerkes, dessen Megawattleistung sich mit Schönheit, Wagemut und Fantasie multipliziert.

Die Band setzt durchaus Kontraste. Ricky Germanson, der Akkordier mit den großen, flügelähnlichen Griffen und den erstaunlichen Lösungen, sowie der österreichische Bassist Hans Glawischnig, ein zäher, wendiger Fighter, mehr, der undifferenzierte Drummer Smith eher weniger. Gerade in diesem Spannungsfeld mutieren Titel wie „No Heart Feelings“ oder das grandiose „Flamingo“ zur akustischen Leinwand, die der Schöngeist einfach koloriert. Das Resultat: Eine sich ständig verändernde Ansammlung faszinierender Hardbop-Gemälde mit dem Prädikat „Besonders wertvoll“. Weil kaum jemand mehr so mit seinem Mundstück zu malen versteht wie dieser Brian Lynch.