Brian Blade Fellowship | 14.04.2000

Donaukurier | Reinhard Köchl
 

Brian Blades neue Platte „Perceptual“ ist eine einzige Enttäuschung. Lau dahinplätschernder, anschwellender Pseudo-Impressionismus mit seltsamen New Age-Vokabeln, weder Fisch noch Fleisch, weder Pop noch Jazz. Live ist der 29-jährige Schlagzeug-Stern mit seiner Formation „Fellowship“ dagegen eine echte Offenbarung. Alles klingt plötzlich völlig anders: wie ein Sammelsurium von bewegten und bewegenden Bildern auf einer mentalen Projektionsfläche, übereinanderpurzelnde Klangfarben, die den Sound der Band von einer Sekunde auf die andere verändern, vulkanartige Eruptionen, die den normalerweise verhaltenen, verbindenden Bandleader an den Drums ruckartig nach vorne katapultieren.

Deswegen dominiert wohl an diesem Abend im Neuburger „Birdland“-Jazzclub zunächst Verblüffung. Mit skeptisch-griesgrämiger Miene laufen nur diejenigen Herrschaften herum, für die Jazz immer noch ausschließlich in starren Regeln zwischen „Summertime“, Swing und Standard verläuft. Die anderen wissen, dass so etwas bei Brian Blade längst der Vergangenheit angehört. Sie ahnen aber nicht einmal im Geringsten, welche Formen der innovative Schlagwerker diesmal wählt, um mit visionärer Sicherheit, Mut und Spiritualität Grenzen zu überschreiten. Er ist ein Storyteller, dessen Musik man stets rückübersetzen kann, die nicht nur reflektiert, sondern ihre eigenen Bilder schafft und Geschichten erzählt.

Vermutlich rührt diese besondere Begabung von seiner Zusammenarbeit mit Joni Mitchell her, die ebenfalls gerne mit Klängen, Tönen und Pausen eine besondere Atmosphäre inszeniert. Wie sie agiert der junge Mann im Stile eines omnipräsenten Regisseurs. Sein Handwerkszeug sind die Musiker; eine schräge Mischung aus No-Names, die nur zu gerne in fremde Rollen schlüpfen. Der Pedal-Steel-Gitarrist Dave Easley etwa, eine Gestalt wie einer dieser kaputten Vietnam-Veteranen, gibt den idealen Konterpart zu seinem phänomenalen Zupferkollegen Kurt Rosenwinkel, die beiden Saxofonisten Donnie McCaslin (Tenor) und Myron Walden (Alt) wirken wie Coltrane und Lester Young am adrenalingeschwängerten Zockertisch.

Das ganze Ensemble konstruiert pausenlos Traumwelten, einen weiten ästhetischen Kosmos aus Country, Pop und exzellenten improvisatorischen Elementen, manchmal zum Weinen schön, dann wieder zum Staunen authentisch, für jeden längst ernüchterten Anfangs-Vierziger eine Art Déja Vú. Vergessene Pubertätsphantasien, Schwaden von „Yes“, „Uriah Heep“ oder den „Doors“, Bob Dylan fliegt vorbei, Duke Ellington sitzt auf einer Wolke, die „Eagles“ schicken einen Akkord aus dem Nirwana, der Pianist John Cowherd führt auf die Road To Nowhere, der Bassist Christopher Thomas verwandelt ein schlichtes Bassintro in die akustische Skizze einer Geisterstadt.

Aber es ist tatsächlich Jazz, was Brian Blade und die Leute von „Fellowship“ da abliefern. Jazz, der mit dem selben Spirit gemacht wird, der auch in den 60ern und 70ern die Rockmusiker an der amerikanischen Westküste beseelte: nimm dir eine gute Melodie oder einen knackigen Riff, und gib ihm dein ganzes Herzblut. Dann entstehen solche atemberaubenden, offenen Klanglandschaften. Auf diesen Impuls hat gerade der Jazz bislang vergeblich gewartet.