Borderlands Trio | 02.02.2019

Neuburger Rundschau | Reinhard Köchl
 

Wie funktioniert Musik eigentlich? Instrumentalisten treffen sich und spielen miteinander. Meist geschieht dies vom Blatt, häufig geht dem ein intensiver Probenprozess voraus, in der Regel geben sie Stücke von überschaubarer Länge zum Besten. Ein kalkulierbarer Prozess, bei dem allenfalls die Tagesform und die äußeren Umstände den Unterschied ausmachen. Das Borderlands Trio verkörpert exakt den Gegenentwurf all dieser gängigen Regeln.

Im Neuburger „Birdland“ beginnen die Pianistin Kris Davis, der Bassist Stephan Crump und der Drummer Eric McPherson eine verwegene Fahrt. Sie dauert fast eine Stunde. Dann nach der Pause dasselbe noch einmal. Es sind keine Stücke, sondern Suiten, Symphonien, Opera, natürlich ankomponiert, aber zum allergrößten Teil improvisiert. Zwei ellenlange, epische Kapitel aus Klängen und Rhythmen, die jeder irgendwo schon einmal gehört hat, die aber in dieser Konstellation noch nie zuvor aufeinander prasselten. Es wirkt, als würde sich die Band ins All schießen, ein bisschen taumeln lassen, bis sie entweder eine Umlaufbahn oder einen Kurs in ein anderes Sonnensystem gefunden hat. Was in diesem Augenblick auf der Bühne passiert, ist so spannend, dass sich niemand aus dem Publikum traut, auszutreten. Er oder sie könnten ja etwas Entscheidendes verpassen.

Die Borderlands stehen stellvertretend für die Grenzgebiete der Musik, die Niemandsländer, dort wo alles anders ist und nichts mehr sicher. Einer geht vor, die anderen laufen hinterher. Mal schauen, was passiert. Davis, Crump und McPherson erzeugen eine aufgekratzte meditative Grundstimmung, die einen wie in einen Strudel hinabzieht. Sie genießen es, eine melodische Figur von allen Seiten her zu beleuchten, sie langsam zu verändern, um dann plötzlich etwas völlig Neues aus dem Dreieck Flügel-Bass-Schlagzeug emporwachsen zu lassen. Alles scheint sich zu drehen, wie bei einem bunten Windrad, das pausenlos seine Tempi und Farben ändert. Die Besucher des Hofapothekenkellers sitzen mit offenen Mündern und einem verklärten Lächeln da. Sie genießen diese Mixtur aus Swing, Groove, Ballade, Marsch, Funk, die das Borderlands Trio auf eine freche, verwegene, moderne Art, flirrend und schlicht genial serviert.

Die organisch funktionierende Einheit erzeugt eine aufgekratzte meditative Grundstimmung, in der jeder seine persönlichen Glanzlichter setzen kann. Etwa Eric McPherson mit seinen verzögerten Schlagzeug-Vierteln, die er über die Hi-Hat anschlägt, Stephan Crump mit seinen torkelnden, durchbrochenen Walking-Linien am Bass, oder Kris Davies, die ihre repetitiven Figuren und Akkorde wie ein Morsefunker in die Klaviatur stanzt, um sie schließlich in rasend schnelle, schlangenlinienförmige Linien zu überführen.

Bei der Zugabe (diesmal knapp fünf Minuten) trommelt der Schlagzeuger auf einer Limoflasche, der Bassist streichelt mit den Händen über den hölzernen Korpus und die Pianistin arbeitet im Inneren des Flügels wie auf einer Zither. Das ist kein Freejazz! Nur ungeheuer eindrucksvolle, grandiose Abenteuermusik. Die Konzertüberraschung des noch jungen Neuburger Jazzjahres!