Bop Giants | 30.10.1999

Donaukurier | Reinhard Köchl
 

(Konzerttag unbekannt!)

Zeit als beliebig zurückdrehbares Faszinosum? Das berühmte „Minton`s Playhouse“, der „Three Deuces Club“ oder das „Birdland“, New York, im Spätsommer 1944: hier erfanden einige Freigeister den Bebop, jene rasend schnelle musikalische Revolution, mit der die schwarze Identität wieder in den Jazz zurückkehrte.

Teddy Edwards war damals an vorderster Front mit dabei. Als 22jähriger kreierte er das allererste Tenorsaxofonsolo des Bebop – eine lebende Legende, für die die höllische Melange aus nervösen Phrasen und treibenden Rhythmen auch 55 Jahre danach noch immer Wegbegleiter ist. Wie muß sich dieser Mann wohl bei seinem Auftritt in einem bayerischen Jazzclub gefühlt haben, der exakt den gleichen Namen trägt, wie jene konspirative Brutstätte in der 52. Straße Harlems? Zu seinen Ehren hatten sie eigens eine Band voller brillanter Solisten zusammengestellt, ihr sogar den hochtrabenden Namen „Bop Giants“ verpasst und in den Mittelpunkt des „Oktober-Specials“ im Neuburger „Birdland“-Jazzclub gerückt.

Ein Anmaßung, eine nostalgische Verklärung der von maschinellen Beats geprägten, eiskalten Gegenwart? Vor dem Konzert im ausverkauften Gewölbe unter der Hofapotheke schienen solche Befürchtungen allemal berechtigt. Hinterher, nach zweieinhalb atemberaubenden Stunden, wusste es jeder wieder einmal besser: der Bebop lebt tatsächlich, wenn auch nicht mehr als Sprachrohr der Bürgerrechte, sondern als Plattform für den Urknall instrumentaler Virtuosität und authentischer Spielfreude.

An diesem denkwürdigen „Birdland“-Abend verschwanden alle Stil- und Zeitgrenzen. Wo der Bebop endet, wann der Hardbop beginnt, was Swing ist, wie Blues klingt, ob sich das Ganze nun 1944 abspielt oder wirklich 1999? Nobody knows. Teddy Edwards, dieser vitale Grandsegnieur des Tenorsaxofons, blies beseelte, tiefblaue Chorusse, straight und sachlich, brauste mit mistralartigen Sturmböen durch Balladen („Lover Man“) und Up-Tempos („Going Home“) und verwöhnte mit überraschenden dynamischen Stufungen.

Und dann seine Partner! Dusko Gojkovic an der Trompete, weitaus näher am Nerv des Bebop, als die meisten Amerikaner, parierte mit adrenalinhaltigen Growls, Dirty Notes und akrobatischen Legato-Staccato-Wechseln. Ein Hochgenuss, den Meister der vokalen Tongebung dabei zu beobachten, wie sich er und Edwards Kunststückchen und Zitate zuwarfen, im Duell aufeinanderprallten, als würden Häkkinen und Schumacher auf dem Hochgeschwindigkeitskurs von Monza um jeden Zentimeter Boden kämpfen. Das ist zeitlose Magie.

Lichtgestalten, wohin das Auge reicht: Kirk Lightsey, dieser Hardbop-Pianist reinsten Wassers mit mächtig dampfenden Blockakkorden und perlenden, berauschenden Läufen. Jimmy Woode, einer der elegantesten Großtöner am Kontrabass, mit gesundem Mutterwitz, Esprit und instrumentaler Grandezza. Ohne den Tausendsassa Alvin Queen mit seinen punktgenauen Drum-Fills und der elektrisierenden Beckenarbeit käme Bebop inzwischen sowie nur noch als billiges Klischee daher.

Alles Faktoren, die zum unbestrittenen Höhepunkt des „Oktober-Specials“ führten und dem euphorischen Publikum die Erkenntnis brachten: die Zeit lässt sich zwar immer noch nicht zurückdrehen, aber manchmal wenigstens im Ansatz höchst trefflich konservieren.