Bolero Berlin | 11.12.2008

Neuburger Rundschau | Dr. Tobias Böcker
 

(Audi Forum Ingolstadt)

Was ist, wenn Musiker aus der klassischen Zunft sich aus dem Konzertsaal herausbegeben in die Welt nur vermeintlich leichterer Muse? Hopp oder topp! Manche können’s, andere nicht! Ein unkenntlich schmaler Grat liegt zwischen Scheitern und Gelingen – wie so oft in der Kunst. Fünf Philharmoniker und ein Jazzgitarrist wagen es – mit einer wunderbar zartfühlenden Annäherung an Tango und „Bolero“, wie das entstandene Ensemble folgerichtig heißt. Helmut Nieberle und fünf Solisten der Berliner Philhharmoniker beschlossen das Jazz-Jahr im Audi Forum Ingolstadt in jener wehmütigen Anmut, die nur dem Tango und seinen Verwandten zu eigen ist.

In Argentinien ist Sommer, 34° hat’s dieser Tage in Buenos Aires. Wie es da wohl ist, Weihnachten zu feiern, Advent in brüllender Hitze und Heilig Abend auf hoffentlich nachtkühler Veranda? Eine eigene Welt, ein eigener Kontinent – und doch über die Migranten aus fünf Jahrhunderten eng verflochten mit Europa. Merke: Auch geborene Mitteleuropäer können Menschen mit Migrationshintergrund sein, wie es politisch korrekt so schön heißt, Fremde in der Fremde, wie Karl Valentin weiland so trefflich vermerkte. Irgendwie weht im Tango beides: Das Heimweh derer, die im Lauf der Zeiten – oft aus Not – ihre Heimat verlassen, und die Trauer derer, die vor einem halben Jahrtausend ihr Vaterland an die Eroberung durch die weißen Götter verloren haben.

Das leise Weh, das durch diese Musik weht, atmet die Sehnsucht nach mehr, nach Erfüllung und Vollendung, passt gerade recht zum Advent, der Zeit der Erwartung, zu jenen dunklen Nächten, die im Kerzenschein – und mag der noch so neonhell sein – mühsam und bang der Finsternis in der Welt da draußen trotzen. Wohl dem, dessen Sehnsucht ans Ziel kommt in Tagen, die offenbaren, wie dünn das Eis ist, auf dem die vermeintliche Sicherheit unserer in Wahrheit unheilen Welt steht.

Martin Stegner, Viola, Manfred Preis, Klarinette und Saxophon, Helmut Nieberle, Gitarre, Raphael Haeger, Piano, Esko Laine, Bass und Daniel „Topo“ Gioia, spielten die Musik Südamerikas mit zartbitterem Schmelz und filigran kultivierter Eleganz, schufen Klänge von erlesener Schönheit, samten schimmernd wie ein schwerer Rotwein, für den 34° im Dezember ganz normal sind.