Bolero Berlin „The Latin Soul Of The Berlin Philharmonic” – Audi Forum Ingolstadt | 10.10.2024

Donaukurier | Karl Leitner
 

Das acht Konzerte umfassende 14. Birdland Radio Jazz Festival ist eröffnet. Das Sextett Bolero Berlin, das Musiker der Berliner Philharmoniker und des Jazz in seinen Reihen hat, übernimmt im Ingolstädter Audi Forum die Eröffnung der Konzertreihe, der Bayerische Rundfunk, der jeden einzelnen Ton aufzeichnen und zeitversetzt ausstrahlen wird, ist vor Ort, das Publikum ist zahlreich erschienen und die Erwartungshaltung ist hoch.

Die erste Frage ist: Wie verkraftet ein Ensemble den Verlust zweier wichtiger Musiker? Und die zweite: Wie werden Klassik und Jazz in dieser besonderen Situation miteinander umgehen? – Für den 2020 verstorbenen Gitarristen Helmut Nieberle, der so viele Arrangements für die Band geschrieben hat, hat nun dessen einstiger Schüler Paulo Morello den Part des Gitarristen und Arrangeurs übernommen, und für den Perkussionisten Topo Gioia – verstorben im April diesen Jahres – kam dessen bester Freund Rolo Rodriguez in die Band. Martin Stegner, Bratschist, Bandgründer und Sprecher des Sextetts: „Wir hatten zuerst sogar vor, die Band ganz aufzulösen, haben uns dann aber doch entschlossen, weiterzumachen.“ Was, wie man an diesem Abend im Audi Forum hört, die absolut richtige Entscheidung war.

Der Titel des Programms „The Latin Soul Of The Berlin Philharmonic“ gibt die Richtung vor. Kracher wie „Besame Mucho“, „Tico Tico“ und „Tres Palabras“ stehen ebenso auf der Setlist wie eine ganze Reihe Morello-Kompositionen und ein paar Auszüge aus den diversen CDs der Band, das Ensemble versucht, Jazz und Klassik nicht nebeneinander zu stellen, sondern miteinander zu verzahnen und wählt dabei nicht die party-trunkene, fröhlich-ausgelassene Va-riante des Latin Jazz, sondern agiert eher verhalten, vorsichtig und wohlüberlegt. Diese Vorgehensweise kann man nicht unbedingt in dieser Konsequenz erwarten, sie führt jedoch das Publikum weg von irgendwelchen potentiellen Mitklatsch-Exzessen und lenkt statt dessen dessen Aufmerksamkeit hin auf die vielen kleinen Nuancen im Repertoire.

Steger und Morello stehen eindeutig im Mittelpunkt, weil sie solistisch am meisten anzubieten haben und am lebendigsten agieren, Rodriguez, Esko Laine am Kontrabass und Raphael Haeger am Flügel erledigen ihre Aufgaben souverän, nur Manfred Preis (Klarinetten, Saxofone) steht etwas im Abseits, denn die Arrangements haben ihm lange Pausen verordnet. Daran hält er sich mit der eisernen Disziplin, die auch für Big Bands so wichtig ist. Was vorab angesprochen ist, das gilt. – Nur ist das nur bedingt das Wesen des Jazz, denn der ja lebt vor allem von Spontaneität, Interaktionen aus dem Augenblick heraus, Ideenübernahmen, Dialogen. Als er in der Zugabe bei Astor Piazollas „Libertango“ schließlich doch von der Leine gelassen wird, spielt Preis denn auf dem Sopransaxofon postwendend eines der besten weil heißesten Soli des ganzen Konzerts.

Man wippt mit dem Fuß, aber man flippt nicht aus. Man lehnt sich zurück und genießt Samba, Bolero, Tango und Corinho, aber man gerät nicht in Ekstase. Ein feinsinniger Abend mit schöner Musik, der trotz der offensichtlichen Zurückhaltung ein überaus gutes Gefühl hinterlässt. – Nachzuhören ist das Konzert in Auszügen am 23. November ab 22.30 Uhr im Rahmen der Live-Nacht aus dem Birdland als Abschluss des Festivals und am 27. Dezember ab 23 Uhr auf BR-Klassik.