Blue Train Sextet | 11.03.2016

Donaukurier | Karl Leitner
 

Der Geist John Coltranes durchweht das Birdland, als das„Blue Train Sextet“ im Neuburger Birdland Jazzclub seine musikalische Visitenkarte abgibt. Coltrane deswegen, weil in seinem legendären „Blue Train“-Al-bum quasi die spirituelle Basis dessen liegt, was die Band an diesem Abend von sich gibt. Wohl gemerkt: Nur die Basis. Denn bis auf die Titelkomposition von 1957, mit der sich die Formation ausdrücklich vor dem Genie Coltrane verbeugt, ist das Programm brandaktuell.

„Head In“, „ Easy“, „Ruth“ – die Themen dieser Stücke sind angelegt, als käme nun gleich eine komplette Big Band zum Einsatz, was in gewisser Weise ja auch stimmt, auch wenn es nur eine ganz kleine ist. Denn Ralph Reichert (Tenorsaxofon), Steve Davis (Posaune) und Jim Rotondi (Trompete, Flügelhorn) erzeugen tatsächlich den Sound eines kleinen Orchesters, bevor sie als Improvisatoren quasi auf die Überholspur wechseln. Reicherts Tontrauben, die Wucht hinter Davis‘ Stößen, Rotondis fast schon artistische Purzelbäume, dazu die feinen Linien des Pianisten Oliver Kent und die wohlig schönen, erdverbundenen Einwürfe des Bassisten Milan Nikolic – ja es rührt sich eine Menge bei den weit über zwei Stunden mit dieser interkontinentalen Formation unter den rhythmischen wie organisatorischen Fittichen des Schlagzeugers Joris Dudli.

Modern, Mainstream, natürlich auch Hardbop, schon allein Coltrane’s wegen: Die Band ist vielseitig, ist mit Lust, Witz und enormer Spielfreude unterwegs und stilistisch ungemein spannend. Die hervorragenden solistischen Stabübergaben etwa bei „Dancin‘ Fritz“ – einer Hommage an den Wiener Pianisten Fritz Pauer – , der quasi zum Rush Hour-Groove am Times Square sich auswachsende Rhythmus bei „Nine To Four“, die gekonnte Lässigkeit von „Déjà Vu“, schließlich das wunderbare „Daylight“ und damit die Annäherung an den Souljazz und an Cannonball Adderly, Horace Silver oder die frühen Crusaders – für diese Band existieren keine Hürden oder Hindernisse. Wie auch, bei dieser ausgefuchsten Bläser-Phalanx, mit Leuten wie Rotondi und Davis, die bereits in den Bands von Ray Charles, Art Blakey, Freddie Hubbard, Chick Corea und Brad Mehldau ein und aus gingen, wie auch, bei dieser Rhythmusabteilung, die mit zum besten gehört, was Europa derzeit in diesem Genre zu bieten hat.

Nach dem Konzert kann man dann das Programm des Abends auf Tonträger erwerben und mit nach Hause nehmen. Merchandising gehört mit zum Geschäft und wäre nicht weiter erwähnenswert. In diesem Fall aber schon, denn die aktuelle CD des Blue Train Sextets ist so neu, dass sie noch nicht mal übers Internet erhältlich ist. Nur im Birdland. Nur an diesem Abend. Manchmal ist es gut, den richtigen Riecher zu haben.