Biondini – Godard – Niggli | 29.09.2012

Neuburger Rundschau | Dr. Tobias Böcker
 

Auch das ist Jazz: Den Wurzeln nachzulauschen, die in vordenklichen Melodien der Folklore sich verästeln im Urgrund der Zeit, Phantasie daraus zu schöpfen, Schätze zu heben aus archaischen Böden und daraus Improvisationen emporfließen zu lassen in eine imaginäre Folklore unserer Tage! Luciano Biondini, Michel Godard und Lucas Niggli sind drei solcher Klangschürfer im kollektiven Gedächtnis, das sie durchschweifen mit lustvoller Neugier auf der Suche nach bisher Unentdecktem, nach Höhlen, in die sie hinabsteigen können zum Geflecht der gemeinsamen Herkunft.

In ungewohnter Besetzung allemal: Schlagzeug, Akkordeon und Tuba, wahlweise Serpent oder ein alter Rickenbacker Fireglo Bass. Das ermöglicht ein wahrlich breites Spektrum an Klängen, Farben und Assoziationen, stellt dem asketischen skandinavischen Jazz der Runensucher einen mediterranen, mal üppigen, mal wüstennahen, immer lebensbejahenden Tanz gegenüber, Lust und Glut, Imagination und Trance.

Wenn Michel Godard mit perkussivem Flattern auf der Tuba oder dem selten zu erlebenden, geradezu mystischen Serpent die vielgestaltige Rhythmik des Schlagzeugs aufnimmt, Lucas Niggli auf den Becken die Melodien des Akkordeons beantwortet und Luciano Biondinis Ziehharmonika in schrillem Diskant oder süffiger Sanglichkeit die Bässe zugleich beantwortet wie erfüllt, rundet sich immer wieder ein Klangkreis von seltener, entrückter, tänzerischer Schönheit.

Dabei steht den Zauberern aus dem Land, wo die Zitronen blüh‘n, der Sound des modernen Jazz wie z.B. in John Coltranes „Naima“ ebenso zu Gebote wie jener des gregorianischen Chorals, der kochende Groove der 50er ebenso wie die polyphone Klangkunst des 16. Jahrhunderts, archaische Impulse ebenso wie weltmusikalische Inspiration, das alles in schier unglaublicher Virtuosität. Ein selten intensives Erlebnis!