Das Licht geht nicht aus, es gibt kein Popcorn, niemand trägt 3D-Brillen. Aber der Film beginnt trotzdem. Ein Bilderreigen, der einen schier verschlingt, dessen Farbenpracht jeden überwältigen muss und furchtsam, traurig oder glücklich zurücklässt. Die Ohren werden zu Augen und der Kopf zur Projektionsfläche. Bill Frisell hat das Kino für die Sinne angeknipst.
Es bröselt, rieselt, scheppert und rumpelt auf der Bühne des Neuburger Birdland-Jazzclubs. Aber es kracht nicht. Auch der Projektor fehlt. Dafür ticken drei Bögen über die Saiten, kraulen acht Finger die Stege, zunächst jeder für sich, zerfasert, torkelnd, völlig aus jeder Tonart und jedem Rhythmus, bis sie einander gefunden haben und in einen Groove einfädeln, der irgendwann die Energie eines hypnotischen Pendels anschwillt.
Acht Bilder des deutschen Malers Gerhard Richter inspirierten den legendären US-Gitarristen zu seinem 858-Projekt, das eine lange vermisste Imaginationskraft im Jazz auf grandiose Weise wiederbelebt. Da passt es, dass Frisell die Hommage auf Richter in einem völlig aus der Mode gekommenen und gerade deshalb höchst modernen Format präsentiert: eine Streicher-Besetzung mit der temperamentvollen Geigerin Jenny Scheinman, dem kreiselnden Bratschisten Eyvind Kang und dem experimentierfreudigen Cellisten Hank Roberts in den Hauptrollen.
Dazwischen er mit einer E-Gitarre. Kein Solo, aber dafür alle Fäden in der Hand. Lange hieß es, Frisells Musik sei so entspannt, so „laid back“, dass er aufpassen müsse, nicht mit dem Schaukelstuhl nach hinten zu kippen. Eine Warnung, die in den vergangenen Jahren durchaus ihre Berechtigung besaß. Nun präsentiert der 60-Jährige mit dem in sich gekehrten Lächeln wieder ein Bündel wundersamer Weisen, bei der sich die Welt langsam zu drehen beginnt. Vor dem geistigen Auge laufen matt schimmernde Sequenzen von ländlichen Zonen der USA, von leeren, staubigen Straßen, von Häusern mit Holzveranden, Idyllen aus den Filmen John Fords, von Glück, Weite, Sonnenuntergängen, bei denen man sich wünscht, dass ausgerechnet jetzt Van Morrison zu singen beginnen möge.
Der Gitarrist aus dem Mittelwesten zeigt aber auch die Zerrbilder, die kalte, dunkle Seite Amerikas. Das Land der unbegrenzten Möglichkeiten, sich selbst zu verlieren, irgendwo zu stranden oder vor dem Nichts zu stehen, nimmt durch geisterhafte Strukturen, durch verdurstende Countryblues-Passagen oder zerschossene Bebop-Fetzen auf plastische Weise Gestalt an. Die Violine erzählt von verlorener Hoffnung, während die Bratsche mit leichter Melancholie tröstet.
Bill Frisell führt behutsam durch Licht und Dunkel. Nicht gewaltsam, sondern voller Empathie, die schroffen Gegensätze erklärend. Als Zugabe lädt das 858 Quartet sein Publikum zum Gleitflug über die „Strawberry Fields“ ein – zum Niederknien schön! Das Happyend eines Musikfilms, bei dem jede Einstellung, jeder Ton alle Möglichkeiten offenhält.