Bernhard Ullrich – Martin Breinschmid Quintett feat. Titilayo Adedokun | 04.06.2022

Neuburger Rundschau | Reinhard Köchl
 

Abschied – vor allem vom Live-Jazz für über drei Monate – kann ein ziemlich scharfes Schwert sein. Oder ein flauschiger Klöppel, der ein Vibrafon streichelt. Letzteres stand beim finalen Konzert vor der Sommerpause im Hofapothekenkeller unter anderem im Vordergrund. Birdland-Impresario Manfred Rehm hatte sich dabei als wie so oft als geschickter Regisseur entpuppt, indem er seinem treuen Stammpublikum, das das Gewölbe noch einmal bis auf den allerletzten Platz füllte, einen echten Cliffhanger servierte, der die Spannung und die Lust auf eine Fortsetzung im September zusätzlich befeuert. Weil man im Jazz und vor allem in Neuburg mit Swing nun mal die Leute fängt, wie mit Speck die Mäuse, besetzte Rehm den Part der Hauptdarsteller mit Bernhard Ullrich und Martin Breinschmid, zwei eingefleischten Jüngern dieser ewig jungen musikalischen Philosophie, die sich auf einer lebenslangen „Mission to Swing“ (so auch der Titel ihrer CD) befinden.

Keine Überraschungen. Warum auch? Swing geht immer, ob im traditionellen oder modernen Kontext, vor allem, wenn man eine derart höllisch groovende Rhythmsection in Person des Pianisten Thilo Wagner, des Bassisten Karsten Gnettner und des Schlagzeugers Michael Keul hinter sich weiß. Die Stücke kennt sowieso jeder, fast alle im Publikum können mindestens den Refrain mitsingen, mitbrummen oder mitschnippen. Die Ohrwürmer stammen samt und sonders aus dem Real Book und tragen Namen wie „Stompinʼ At The Savoy“, „Donʼt Get Around Much Anymore“ oder „Si Tu Vois Ma Mère“ („Wenn du meine Mutter sieht“ von Sidney Bechet). Klassische Fußwipper, gerne genommen und immer wieder gerne gehört, vor allem, wenn sie von solch erstklassigen Instrumentalisten serviert werden.

Man kann über Geschmack diskutieren, muss das Gebotene nicht unbedingt pflichtschuldig bejubeln. Aber die Exzellenz von Bernhard Ullrich, Martin Breinschmid und Co. offenbart sich in jeder Viertelnote, jedem lustvoll intonierten Solo, in jedem Tropfen Herzblut, das die fünf da auf der Bühne vergießen. Dass dem Klarinettisten Ullrich aus Grünwald seit Jahren der Ruf als „bayerischer Benny Goodman“ vorauseilt, diese Lorbeeren hat sich der 56-Jährige wegen seines funkelnden, ruhigen, klaren, gleißenden Tons allemal verdient. Genauso gut müsste aber auch Breinschmid, der Derwisch am Vibrafon mit seinem unnachahmlichen Wiener Schäh und seinem eingebauten Swing-Pulsgeber, längst den Beinamen „österreichischer Lionel Hampton“ tragen.

Er und seine Adjutanten flitzen ebenso geschwind wie elegant durch die Themen, glänzen und lassen einander glänzen. Wie Thilo Wagner, der zusammen mit Karsten Gnettner und Michael Keul im Trio ein atemberaubendes Tempo in „Pennies From Heaven“ anschlägt und dabei auf verblüffende Weise jede Note exakt trifft. Gleiches gilt für das rasende „Moonglow“, das Formel Eins artige „Dizzyʼs Atmosphere“ oder den Gassenhauer „Bei mir bist du schön“, für den Martin Breinschmid sogar eine Batterie unterschiedlich gefüllter Flachen für ein famoses Solo zweckentfremdet. Die Losung lautet: Swing, so schnell und rasant wie nur möglich! Inmitten dieses virtuosen Schweinsgalopps wirken die Intermezzi der fein intonierenden Vokalistin Titilayo Adedokun wie ein wohltuender Kontrast, eine dezente Vollbremsung, genau zum richtigen Augenblick. Die Amerikanerin interpretiert „Our Love Is Here To Stay“ oder „Puttinʼ On The Rizz“ authentisch, beseelt und mit einem guten Gespür für die Feinheiten und Fallstricke ihres Timbres.

Nach 120 Minuten sollte eigentlich Schluss sein. Verbeugung, erste Zugabe, zweite Zugabe, eine breite, lustvoll zu befahrende „Route 66“ noch, dann wieder Klatschen, Pfeifen und ausgelassene Stimmung, fast wie bei einer Party. Endlich kein Corona mehr (zumindest vorübergehend), keine Beschränkungen, und Swing, so weit das Ohr hören kann. Warum braucht es überhaupt eine Sommerpause? Doch Gemach: Schon in weniger als drei Wochen gibt es noch einmal drei Tage Jazz und Marionettentheater mit den Neuburger Fadenspielern, und zwar vom Freitag, 24. bis Sonntag, 26. Juni, beim Open Air im Amalienhof. Die Abstinenz würde ja sonst auch viel zu lange dauern…