Die Allegorie „Round about“ gehört im Jazz so unverrückbar zur mitternächtlichen Stunde wie das Mundstück zum Saxofon. Sie soll ausdrücken, was eigentlich keiner so recht beschreiben kann: die besondere Magie dieser Tageszeit, den Moment der getrübten Wahrnehmung, während dessen die Musik ganz besonders tief in die Seele vorzudringen vermag.
Gerade deshalb hat das plakative Motto „Round about…“, unter dem Richie Beirach, George Mraz und Gregor Hübner bei ihrem Gastspiel im Neuburger „Birdland“-Jazzclub ältere europäische Klassiker in den Kontext des amerikanischen Jazz transportieren, vordergründig etwas gefährlich Beliebiges. Vielleicht handelt es sich gar wieder um einen dieser Anfälle von streberhafter Naivität, beides gewaltsam vor einen Karren zu spannen und lauthals auszurufen: „Ätsch, mit eckigen Rädern kann man doch fahren!“
Davor steht dieses ungewöhnliche Trio freilich wie eine kreative Wand. Es liefert Klänge, die einfach nur als schön bezeichnet werden müssen. Ein Anachronismus angesichts der Zerrissenheit der europäischen zeitgenössischen Musik nach 1945 und der Jazz-Avantgarde der 60er Jahre. Beirach, Mraz und Hübner erzählen von Liebe, Spannungen, Widerspruch, Übereinstimmung. Sensibel entwickelt jeder fort, was die anderen vorlegen: eine Utopie der Freundlichkeit. Die Harmonie und Eleganz, mit welcher die Gruppe Melodien auskostet, wirkt wie ein Gegenentwurf zum weltweiten Chaos.
„Comprovisation“ nennt Richie Beirach seine Gratwanderungen. Seit jeher sucht der New Yorker, der eigentlich Konzertpianist werden sollte, nach einer Synthese beider Leidenschaften. Dass inzwischen das klassische Moment einen markanten Sockel seiner großen Kunst bildet, liegt auch an dem jungen deutschen Geiger Gregor Hübner. In Neuburg nähern sich beide gemeinsam mit dem Bassisten George Mraz Stücken von Béla Bartók, aber auch denen seiner Kollegen Skrjabin, Kodály, Mompeu, Gesualdo, Pergolesi, Palestrina, Schütz und Bach.
Frei nach dem Motto, dass alle guten Komponisten auch gute Improvisatoren waren und umgekehrt. Das ruhige, melancholische, zuweilen verträumte Konzert überzeugt aber gerade dann, wenn Beirach sein immer noch viel zu wenig beachtetes Können solistisch entfaltet und auch mal düsteren Gedanken nachhängt, die sich in eckigen Intervallen und schrillen Blockakkorden niederschlagen. Mraz dagegen verkörpert die tragfähige Brücke zwischen den Dimensionen. Er fragt, forscht oder hört einfach nur zu. Etwa Hübner, der sein Ohr dicht am Instrument hat (Eine Jazzgeige kann manchmal furchtbar klingen!) und genau deshalb mit wenigen Mitteln immer den richtigen, zauberhaften Ton trifft.
Das klassische Jazzmenü schmeckt, weil dessen Köche für „Orfeos Klage“ eine ähnliche Rezeptur verwenden wie Miles Davis bei „Blue In Green“, weil sie die absteigenden Basslinien Monteverdis zu einem vibrierenden Kammerstück hochgaren lassen.
Wie befruchtend auch die Klassik für den Jazz klassischer Prägung sein kann, dafür liefern die drei mit dem dämonischen Arrangement für „You and the Night and the Music“ ein hinreißendes Beispiel. Hübner klingt hier wie ein transsylvanischer Geiger an der Spitze eines Leichenzuges, Beirach wirkt wie ein verrückter Professor, der im Fieberwahn im Inneren des Flügels herumzupft, während Mraz die Melodie geisterhaft aus den Nebeln eines imaginären Moores auftauchen lässt. Statt „Round about Telemann“ oder „Round about Webern“ könnte dies ein anderer Weg für ein frisches, anderes Trio aufzeigen.