Basement Research | 03.11.2023

Neuburger Rundschau | Reinhard Köchl
 

Über dem Konzert liegt der Schleier des Abschieds. Das von langer Hand vorbereitete Ende einer musikhistorischen Ära beginnt tatsächlich in Neuburg. „Herzlich willkommen zum drittletzten Set von Basement Research“, begrüßt Gebhard Ullmann nach der Pause die durchaus zahlreich erschienenen Zuhörer im Hofapothekenkeller, die selbst der toxische Warnhinweis „Avantgarde“ im Programmheft nicht abschrecken konnte. Das war früher nicht immer so. Doch inzwischen gibt es im Birdland-Jazzclub für jede Stilistik ein gutes, fachkundiges Publikum, das aus allen Teilen der Republik an die Donau kommt, aber mittlerweile erfreulicherweise auch immer mehr Menschen aus der Stadt, dem Landkreis und der Region ins Gewölbe lockt.

Basement Research, diese experimentierfreudige Allstarband mit hochkarätigen Instrumentalisten aus den USA und Europa, vor genau 30 Jahren in New York aus der Taufe gehoben, ist wieder so ein Fall für jazzaffine Gourmets. Unter der unscheinbaren, aber allgegenwärtigen Stabführung des Berliner Tenorsaxofonisten und Bassklarinettisten Gebhard Ullmann, der die melancholisch-wütende Klangsprache eines Eric Dolphy scheinbar in seiner Genetik aufgenommen hat, schuf die Combo mit wechselndem Personal einige Meilensteine der modernen Improvisationskultur. Die finale Legenden-Besetzung mit dem wunderbar-sonderbaren englischen Baritonsaxofonisten Julian Argüelles, dem forschen Posaunisten Steve Swell, dem erstaunlich dominanten, fast überschwänglichen Bassisten John Hébert und dem furchtlos voranschreitenden Drummer Gerald Cleaver biegt nun auf die Zielgerade ihres gemeinschaftlichen Daseins ein und demonstriert in Neuburg noch einmal die große Kunst der musikalischen Entfesselung. Es ist eine Haltung, die in einer auf Absicherung und kalkulierbarem Risiko genormten Welt immer mehr verloren geht und fast schon ein wenig altmodisch wirkt. Wohlgemerkt: Hier handelt es sich nicht um kakophonischen Lärm oder brutales Kaputtspielen. Basement Research haben sich eine feste Struktur gegeben, die auf Notenblättern verankert ist und stets ein Gleichgewicht zwischen freien, improvisatorischen Flügen und streng definierten Melodien sucht.

Jedes ihrer Stücke setzt sich jeden Abend neu zusammen. Älteres wie „Kreuzberg Park East“, das der Geräuschkulisse eines Sonntagnachmittags in dem Berliner Stadtteil nachempfunden ist, könnte sogar just für diesen Abend geschrieben worden sein. Die fünf brauchen keine Harmonieinstrumente, denn Harmonie wird in Zeiten wie diesen sowieso überbewertet. Dafür sensible, virtuose, emphatische Abenteuerlust, die Musik von großer Freiheit und Schönheit erzeugt. Ullmann, Argüelles, Swell, Hébert und Cleaver ziehen ihr Publikum quasi in ihre Welt, eine Welt des flüchtigen, nachhaltigen Moments. Schon allein die verschachtelte, taubenschlagähnliche Rhythmusarbeit des Bassisten und des Schlagzeugers ist da eine Attraktion für sich. Mit dem Bogen assoziierte knarzende Türen oder Geistersequenzen aus der dritten Dimension werden durch einen Hi-Hat-Sound angereichert, der wie ein flatternder Ventilator klingt.

Das vermeintliche Chaos, das in Wirklichkeit nie eines war, löst sich in leisen, zerbrechlichen, farbigen Balladen voller Wirkkraft, schwebender Harmonien, viel Understatement oder in schroffen, urwüchsig schönen Gospelfiguren auf. Und mögen die Bläserstimmen noch so sehr auseinanderdriften – auf organisch-wundersame Weise finden sie in ungeschwätziger Prägnanz und sinnlichem Spaß am Spiel mit Verschränkungen immer wieder zusammen. Tür auf, Tür zu und wieder auf: Diese kluge und in ständiger Bewegung organisierte Kurzweil einer brillanten Band gibt es nach dem Birdland (mit zwei Zugaben!) nur noch tags darauf in Dachau zu hören. Danach ist tatsächlich Schluss mit Basement Research. Wirklich schade!