Barry Harris Trio | 28.04.2006

Donaukurier | Lorenz Erl
 

Bedächtig, geradezu vorsichtig geht Barry Harris die Treppe zum Birdland Jazz Club hinunter. In den schwierigen Passagen legt der 78-jährige die Hand auf die Schulter eines Begleiters. Selbst am Piano scheint sich die Hand Taste für Taste vorzutasten. Erste Töne klingen im Gewölbe – zart, auslotend, neugierig. Die ersten Takte lang scheint Berry Harris das Klavier erforschen, die Harmonie mit dem Klangkörper auszuloten zu wollen. Unmerklich ist der Übergang zum Abendprogramm, die Begleitmusiker Alex Milo und Douglas Sides zupfen am Bass, rühren an den Drums und schon klappt die Erlebnistraumwelt Bebop ihre Kladden auf. „The keeper of the Bebop flame“ wird Barry Harris zuweilen genannt , seine Zuhörer hören die Flamme zwischen den sanften Tönen knistern. Harris schätzt im Alter die leisen und bedächtigen Töne, die laute Hetze nach den Sechzehntel-Noten hat er nicht mehr nötig. Der Spaß am Spiel und die Freude am Publikum aber ist mit jedem Fingerdip auf das weiße Elfenbein zu hören und wenn´s sein soll, lässt er auch mal den Ellenbogen auf die Tasten krachen. Der alte Mann und das Klavier sind eine untrennbare Einheit, wenn er „One of those Things“ intoniert und Monksche Eskapaden aufblitzen lässt. Barry Harris kannte die Legenden des Jazz noch persönlich, er spielte mit Miles Davis, Sonny Stitt und vielen anderen und er lässt die Erfahrungen daraus in sein Pianospiel einfließen. Das Publikum saugt jeden Ton gierig auf und hält die phänomenale Stille im Kellergewölbe konstant aufrecht, sogar der Zapfhahn hinter der Theke hat aufgehört zu zischen. Sanft setzen Bass und Drums wieder ein und heben das freiwillige Diktat der faszinierenden Stille auf. Barry Harris wechselt die Taktik, er will mit dem Publikum spielen. „Geben sie mir vier Zahlen vor,“ lässt er dolmetschen, das Publikum entscheidet sich für 7-5-3-4. Harris lotet die Harmonie der Tonfolge über drei Oktaven aus und fängt an zu improvisieren. Er bindet das Publikum ein, lässt es die Zahlen mit den Notenwerten singen und arrangiert die Begleitung dazu aus dem Handgelenk. „Five – Five – Five“ singt das Publikum in „g“ im Intermezzo und selbst das dicke Schnapsglas, das irgendwo zu Boden fällt, scheint den Ton fortzuklimpern. Magic Moments im „Birdland“. Der Spaß zu dem Spiel pflanzt sich durch die Reihen der Zuhörer und der alte Herr am Piano ist zur Sonne dieses kleinen Universums geworden. Barry Harris spielt nun mit dem Publikum, er singt und rekrutiert es zu seinem Backgroundchor. Zugegeben – Harris spielt besser Klavier als er singt, aber er hat den Blues in der Stimme. Für einen Song verlässt er gar den Pianohocker und überlässt Kuno Hürner aus Donaueschingen den Platz. Der „Zufalls-Pianist“ nutzt seine Chance hervorragend, einfühlsam begleitet er sein Idol und teilt sich mit ihm den Applaus des Publikums. Drei Stunden lang spielt Barry Harris für sein – und mit dem – Publikum und setzt zu einer improvisierten musikalischen Rundreise durch Europa an. Zu Deutschland fällt ihm „Bei mir bist du scheen“ ein. Die Fans fordern unendliche Zugaben, seinen viel applaudierten Schlusspunkt setzt Harris mit einem Stück eines alten, längst verstorbenen Bebop-Weggefährten: Dizzy Gillespies „Salt Peanuts“. Harris wirkt heiter, wie aus einem Jungbrunnen erstiegen. Der 78-jährige zieht sich nach den Schlussakkorden nicht erschöpft in die Garderobe zurück, sondern setzt sich vergnügt auf einen Barhocker und genieße die kommenden Drinks.