Barry Altschul and 3Dom Factor | 10.05.2025

Neuburger Rundschau | Reinhard Köchl
 

Man könnte es ja mal probieren, diese Band ans Stromnetz der Stadtwerke anzuschließen. Mit ihrer berstenden Energie wäre sie womöglich ein enormer Gewinn in Zeiten knapp werdender Ressourcen und könnte Neuburg mutmaßlich allein ein paar Tage versorgen. Schrulliger Vergleich, zugegeben. Aber wer an diesem Abend im Hofapothekenkeller der Darbietung der drei Avantgarde-Legenden Barry Altschul, Joe Fonda und Jon Irabogon lauscht, der kann sich nur schwer der Wucht und Dynamik entziehen, die das Trio da von der Birdland-Bühne schickt. Natürlich ist es schwere Kost. Aber man spürt fast körperlich, wie viel Power diese Ausnahmeformation aus New York produziert, welche Kraft in ihren Kollektivimprovisationen steckt, die geschickt zwischen traditionellen, holprig swingenden Formen und mildem Freejazz hin- und herpendeln. Und das Erstaunliche dabei: Während ein solches Konzert noch vor einigen Jahren bisweilen noch weniger Zuschauer als Bandmitglieder angezogen hätte, ist das Gewölbe diesmal erstaunlich gut besucht, wenn auch nicht ganz ausverkauft. Auch dafür hat das Birdland inzwischen ein Stammpublikum.

Spezialisten aus ganz Deutschland sind angereist, weil es eine Combo wie den „3Dom Factor“ nicht alle Tage hierzulande live zu sehen gibt. Barry Altschul, das 82-jährige Drum-Fossil aus der Bronx, schlurft mit Gehstock und dunkler Sonnenbrille durch den Keller, wirkt gebrechlich und hilfebedürftig. Wenn er jedoch hinter seinem Set Platz nimmt, explodiert einer der dynamischsten Schlagzeuger des Jazz, der einst die Musik von Größen wie Paul Bley, Chick Corea, Anthony Braxton, Dave Holland oder Sam Rivers bewegte, förmlich. Altschul liebt es, multiple Rhythmen in einen reißenden Strom an Percussion-Sounds zu leiten, er weiß aber auch ebenso feinfühlig wie behutsam mit den Besen umzugehen. Dann ist da noch Joe Fonda, der Mann, der den Kontrabass völlig anders bedient als jeder seiner Kollegen; singend, fragend, sich vermeintlich selbst verlierend, mit langsamen gezogenen Tönen, ein bisschen gespenstisch, ein bisschen knarzend, wie ein Bauer, der einen vollbeladenen Karren mit eigenen Händen zieht. Es sind wirklich unglaublich große, tiefe Töne, die der 70-Jährige da aus seinem hölzernen Korpus kitzelt.

Fonda mag es, die Darbietungen seiner Gefährten mit komplementären Klangfarben unterlegen, sie zu umspielen, wie etwa das liedhafte Intro des ideenreichen, stets dialogbereiten Tenorsaxofonisten Jon Irabogon, das zu einer kantigen Ballade gerät, bei der sich die harmonischen Strukturen von Johnny Hodges und die lavaartigen Ausbrücke von Albert Ayler wie selbstverständlich verschränken. Man muss Irabogon eine Weile gehört haben, um sein Charisma zu spüren: Wie lässig er Akkordbrechungen swingt. Wie er mit trocken intonierten Melodiewendungen die alten Meister des Cool anblinzelt. Wie er seinem Ton Hitze gibt und durch kantige Bop-Phrasen fegt. Wie er flüchtige Erinnerungen an die Klangverläufe eines Albert Ayler zur Seite wischt, indem er einen Ton überbläst, und die Musik in ganz eigene Sphären katapultiert. Der 45-Jährige verkörpert das Bandkonzept am perfektesten: den Spagat zu wagen zwischen instrumentaltechnischer Finesse und einer am Punk geschulten Energie, zwischen cooler Geläufigkeit in allen Facetten der Tradition und der Chuzpe, sich lässig über alle Konventionen hinwegzusetzen.

Im Grund genommen fußt alles, was Altschul, Fonda und Irabogon an diesem Abend wagen, auf einer simplen Bluesform, die sie wahlweise auflösen, verändern oder wieder zusammenführen. Und noch etwas fällt auf: Es gibt erstaunlich viele solistische Alleingänge, manchmal ganze Stücke, in denen entweder das Saxofon, der Bass oder gar das Schlagzeug separat durch das Dickicht aus Skalen, Takten oder Kadenzen führen. Die hohe Schule des zeitgenössischen Jazz, allemal emotional und nicht technokratisch, voller Energie und am Schluss mit jeder Menge Bravo-Rufen bedacht, aber leider nicht mit einer Zugabe belohnt.