„Art Of Piano“ im Birdland Jazz Club Neuburg | 01.09.2007

Jazzzeit | Reinhard Köchl
 

Die Kunst der Kontinuität

Die eigens angeschafften Klavierbücher quellen fast über vor hymnischen Lobpreisungen. „It’s always a joy to play on a piano like this” frohlockte Monty Alexander, während Marc Copland den euphorischen Ausruf „What an instrument!“ hinterließ, Kenny Barron den schwarzen Kasten in dauerhafter Erinnerung behielt, weil mit dessen Hilfe musikalische Feinheiten erst richtig zur Geltung kämen („ . . . musical subtilities can truly be heard“), Bill Carrothers ihn am liebsten gleich mitgenommen hätte („If you ever decide to sell it . . . “), Uli Lenz, der Frankfurter Kraftmeier mit dem gepflegten Tasten-Punch, „dem Süßen echte Nehmerqualitäten wie Joe Frazier“ attestierte – „dabei swingt er auch noch“ – und George Gruntz sich nach einem „wunderschönen Abend mit unserem Freund Jakob Bösendorfer“ gar zu der Behauptung verstieg, das Birdland im bayerischen Neuburg sei „the piano place“ schlechthin.

So geht das Seite für Seite, in Englisch, Französisch, mitunter gar in Spanisch und natürlich in Deutsch, mal garniert mit witzigen Karikaturen (Gil Goldstein und Roberto di Gioia!), mal mit unleserlichen Krakeleien, fast wie eine allumfassende PR-Kampagne für den endgültigen Einstieg der altehrwürdigen Wiener Klaviermanufaktur in die Welt des Jazz. Nur einer moserte. „Fix the piano please“ rüffelte Paul Bley, anerkannter Bösendorfer-Fetischist und berüchtigtes Sensibelchen mit dem absoluten Gehör, irgendwann 1995 die Veranstalter. Dabei traf Clubchef Manfred Rehm an dieser Nachlässigkeit nun wirklich keine Schuld. Während sein Klavierstimmer Thomas Olbrich normalerweise vor jedem Konzert den edlen Flügel auf Vordermann bringt, fehlte der gute Geist des Wohlklangs ausgerechnet vor Bleys Gastspiel, weil sein Vater Franz just an diesem Tag 80 Jahre alt wurde. Für Rehm und die Seinen ein wichtiger Lerneffekt: „Der Fehler, anzunehmen, dass eine Stimmung in einem Kellergewölbe mit hoher Luftfeuchtigkeit mehr als eine Woche anhält, passiert uns mit Sicherheit kein zweites Mal.“

Von Franz Olbrich, dem Seniorchef eines Pianohauses in der Nähe von Neuburg, kam auch die Initialzündung, mit der für Jazzclubs üblichen Steinway-Konvention zu brechen und einen Bösendorfer 200-Flügel anzuschaffen. Wie Impresario Manfred Rehm beim Umzug des Birdland-Jazzclub in die gerade freigelegten Katakomben der historischen Hofapotheke generell einen völlig neuen Weg beschreiten wollte – für die Präsentation von improvisierter Musik und vor allem für die Würdigung des seiner Meinung nach wichtigsten Instrumentes im Jazz. Viel zu oft hatte er in der Vergangenheit mit ansehen müssen, wie Pianisten in Szenelokalen grottenschlechte, verstimmte Klimperkästen vorgesetzt bekamen; ein Umstand, der selbst dem hartgesottensten Fan bisweilen Schmerzen zufügt. So etwas durfte in seinem Club auf keinen Fall passieren. Also fuhr Rehm im Sommer 1991 zu Bösendorfer nach Wien, wo der große Oscar Peterson für das Birdland eine Vorauswahl getroffen hatte. In seinem Schlepptau der amerikanische Tastenvirtuose Larry Porter. Ihm oblag es, aus Oscars Selektion das beste Stück herauszufinden und logischerweise im September gleich die eigens ins Leben gerufene Reihe „Art Of Piano“ zu eröffnen. Dank der Unterstützung des Mäzens Fritz von Philipp sowie der Stadt Neuburg besaß das Birdland fortan etwas, das die Protagonisten des Genres fast magnetisch anzog. Schließlich begegnen die Damen und Herren Klavierspieler einem waschechtem 200er aus besagten Gründen so selten wie einem vierblättrigen Kleeblatt.

„Art Of Piano“: das bedeutet seither vor allem Kontinuität. Die Kunst, etwas am Leben zu erhalten, Fantasien, Träume, eine ganz bestimmte Ästhetik. Seit genau 16 Jahren. Ganze Heerscharen von Pianisten, Weltstars, Legenden und Talente, adelten den Bösendorfer durch ihre Anwesenheit. Wer durch die Bücher blättert, findet handschriftliche Dankesadressen von Brad Mehldau oder Diana Krall, von Michel Petrucciani, Dave Brubeck, Esbjörn Svensson, Ahmad Jamal, Gonzalo Rubalcaba, Geri Allen, Aki Takase, Joanne Brackeen, Ray Bryant, Tete Montoliu, Martial Solal, Sir Roland Hanna, Mal Waldron (auf Deutsch!), Alexander von Schlippenbach, Randy Weston, Mose Allison, Jason Moran, Michael Wollny, Kevin Hays oder Fritz Pauer. Das 100. Konzert absolvierte im Mai Don Friedman, langjähriger Partner von Clark Terry, langjähriger Freund des Clubs und natürlich des Flügels, und mindestens ebenso lang als Geheimtipp für Bill Evans-Fans gehandelt. Nicht selten wurde rund um den Birdland-Bösendorfer auch ein Kapitel Jazzgeschichte geschrieben. Als der große Tommy Flanagan im Oktober 1994 eines seiner wirklich raren Solokonzerte gab und das Münchner Enja-Label die Sternstunde live aufnahm, da ahnte niemand im bis auf den letzten Platz besetzten Keller, dass der Protagonist selbst am liebsten Fersengeld gegeben hätte. Er, der Ella Fitzgerald, John Coltrane und Sonny Rollins begleitet hatte, der „Sideman for all seasons“, der perfekte Mannschaftsarbeiter und Edel-Wasserträger, fühlte sich plötzlich nackt und allein. „Es war fürchterlich“, klagte das bescheidene Genie hinterher. „Ich werde so etwas nie wieder tun.“ Die Aufnahmen, die bis dato unveröffentlicht im Enja-Archiv schlummern, besagen genau das Gegenteil. Enja-Chef Matthias Winkelmann nennt sie „einen Schatz“. Vier Jahre später kam Flanagan nach Neuburg zurück – in gewohnter Umgebung mit Band. „Erst jetzt habe ich diesen Flügel so richtig genießen können“, schrieb er losgelöst. „Von der ersten bis zur 88. Taste.“