Art Farmer Quintet | 26.09.1997

Donaukurier | Reinhard Köchl
 

Der Kontrapunkt als ästhetisches Korrektiv: Art Farmer setzt ihn immer noch. Heute inmitten der Heerschar gipfelstürmender Jungstars bewußter denn je, wenn auch mit der seit 50 Jahren typischen zurückhaltenden Art. Der Mann spricht leise, spielt leise und läßt das Klappern der Kaffeelöffel, das Klirren der Weingläser im Neuburger „Birdland“ jäh verstummen. Nur ja jede Nuance dieser schwerelosen Melodik aufschnappen, nichts davon verpassen.

Die Rückkehr der 69jährigen, inzwischen in Wien lebenden Hardbop-Kultfigur in den restlos ausverkauften Keller unter der Hofapotheke hätte triumphaler kaum sein können. Ungewöhnlich intensiver Beifall nach jedem Solo oder den einzelnen Stücken, der sich am Ende des zweistündigen Konzerts zum minutenlangen Orkan auswächst. Farmer wirkt irgendwie verlegen, dann gar ein wenig gerührt. Selbst einer lebenden Legende passiert es nicht alle Tage, daß ihr ein Publikum derart aufrichtig Respekt zollt, noch dazu für eine gemeinhin als altmodisch geltende Präsentation, die jedem gängigen Trend zuwiderläuft.

Einer wie Art Farmer drängt sich nie auf. Er bietet an: sanft gleitende Linien voller Poesie, durchdachte Improvisationen bar jeglicher Klischees, geschmackssicheren Swing, der selbst in schnellen Tempi immer ruhig und ausbalanciert anmutet. Wer nicht mag, muß nicht, versäumt aber eine ganze Menge. Eine Erkenntnis, die offenbar ältere und jüngere Farmer-Fans aus ganz Südbayern nach Neuburg lockte. Solche stets überraschenden Erfolge stempeln den weißhaarigen Ausnahmemusiker gerade im Zeitalter seelenloser Computermusik zum heimlichen Maßstab für ein über aller Bewertung schwebendes Qualitätsideal.

Sein Geheimnis: Nonkonformismus, ohne es sich je richtig vorgenommen zu haben. Keine strahlende Phrasierung, keine aggressive Attack. Farmer verzichtet auf klassische Trompeten-Attribute und interpretiert „My Funny Valentine“ ganz im Stile der Vokalisten. Warm, delikat, geschmeidig, kontrolliert, wenn auch ohne scharfe atmosphärische Ausreißer. Das unkonventionelle Resultat jahrelangen Tüftelns, die inzwischen als Sensation geltende „Flumpet“ (eine Kreuzung aus Trompete und Flügelhorn) hilft dem Brass-Player dabei. Sie erweitert seinen Tonumfang nach oben und bot dem Auditorium eine überaus reizvolle optisch-akustische Attraktion.

Art Farmer schafft es, nackte Noten handstreichartig in emotionale Statements zu verwandeln und dekoriert das Ganze mit einem winzigen, geatmeten Hauch, der vor den eigentlichen Tönen steht. Auch wenn die Intonation früherer Tage ein wenig dem fortschreitenden Alter zum Opfer gefallen ist, so besitzt sein Spiel unvermindert Aussagekraft und Tiefe.

Selbst die hochdekorierte österreichisch-brasilianische Begleitcrew ließ sich im „Birdland“ vom Zauber des besonderen Augenblicks anstecken. Harry Sokal am Tenorsaxophon (brillant sein drivendes Intermezzo in Coltranes „Naima“), das spritzige Wiener Tastendenkmal Fritz Pauer, der exzellent abgestuft swingende Drummer Mario Gonzi sowie der modern rhapsodierende Bassist Paulo Cardoso (ein Highlight: sein fragiles Duett-Intro mit Farmer zu „Blue Monk“) boten meisterlich beflügeltes Interplay. Alles für und mit Art Farmer, den letzten großen Lyriker der Jazztrompete.