Einmal mehr erweist sich die Birdland-Reihe „Art Of Piano“, in der der clubeigene Bösendorfer-Flügel eine Hauptrolle spielt, als eine Art Wundertüte. Man weiß nicht immer genau, was drin ist, was die Sache folglich um so spannender macht. Beim 238. Konzert der Reihe der sitzt also nun der italienische Pianist Antonio Faraò an den weißen und schwarzen Tasten.
Man hätte ja vorgewarnt sein können. Wer mit Jack DeJohnette, Chris Potter und Benny Golson gespielt hat, muss schon gehörig was auf dem Kasten haben. Dass Faraò aber mit seinen Partnern, dem geschmeidigen und mit allen Wassern gewaschenen Kontrabassisten Yuri Goloubev und dem Schlagzeuger Vladimir Kostadinović – einem der brillantesten Vertreter seiner Zunft weit und breit – dermaßen für Furore sorgen würde, kommt dann doch einer kleinen Sensation gleich. Manchmal bergen Wundertüten tatsächlich Wunderbares.
Zuerst fällt einem natürlich dieses atemberaubende Tempo auf, bei dem einem unweigerlich rückblickend die Konzert von Benny Green an gleicher Stelle in den Sinn kommen. In der Tat, wenn Faraò den Turbo zuschaltet, steigt der Rauch auf, überschlagen sich die musikalischen Ereignisse, fallen Tonkaskaden wie Sturzbäche auf das staunende Publikum herab. Höchst faszinierend, ja, aber bei weitem nicht das einzig Faszinierende. Man kann sich ja darüber streiten, ab wann und ob man überhaupt einen Musiker als perfekt“ bezeichnen sollte. Bei Faraò freilich ist die Versuchung, dies zu tun, schon groß. Weil er nämlich viel mehr zu bieten als die blendende Technik eines Virtuosen. Seine Kompositionen, wie etwa das seinem Sohn gewidmete „Domi“ oder das als Verbeugung vor dem Saxofonisten Chico Freeman gedachte „Free Man“ halten einem Vergleich mit seiner Auswahl an verfremdeten, fast nicht mehr als solche identifizierbaren Vorgaben von Cole Porter’s „I Love You“ über Chick Corea bis hin zu Johnny Mercer’s „Autumn Leaves“ absolut stand. Seine Arrangements sind exzellent, sein Sinn für Dynamik beispielhaft, seine Sichtweise stets zukunftsgerichtet. Und anscheinend hat er auch noch eine ganze Palette von Anschlägen im Köcher, die er jederzeit hervorholen kann, je nachdem, ob es gerade balladesk zugeht oder in Höllentempo vorwärts. Irgendwie ist er ein Meister aller Klassen.
Vielfalt bedeutet nicht, er hätte keine eigene Handschrift. Die drückt sich aus in seiner Leidenschaft für unerwartete Wege. Vieles an dem, was man bei seinem Konzert hört, mag man – wenn man schon unbedingt eine Schublade aufmachen will – dem Mainstream zurechnen, allerdings benimmt sich Faraò in diesem Umfeld absolut unorthodox, eckt liebend gerne an, schlägt Haken, Pirouetten, lässt die Finger tanzen und die Töne kreuz und quer mit voller Absicht, aber jederzeit koordiniert durcheinander purzeln, als seien sie Flipperkugeln, scheinbar auf unberechenbare Art ständig unterwegs, ohne freilich je den Rahmen zu verlassen.
Je länger die Liste derer wird, die im Birdland „The Art Of Piano“ demonstrieren, desto mehr wird die Reihe zu einem Podium für die Creme des Piano-Jazz, wozu Antonio Faraò zweifelsfrei jetzt schon gehört. Für den März haben sich bereits Rita Marcotulli und Hank Roberts angekündigt. Schon wieder zwei Wundertüten?