Leider ist der angekündigte Tenorsaxofon Jasper Blom nicht mit nach Neuburg in den Birdland Jazzclub gekommen und so schrumpft das Quintett um die Sängerin Anette von Eichel zum Quartett, was man als Zuhörer aber recht schnell ausblendet, denn man weiß ja eh nicht, wie die Musik, die man an diesem Abend zu hören bekommt, mit ihm geklungen hätte. Aber auch ohne ihn – und das weiß man nach den zwei Sets, die sich zum Großteil um das aktuelle Album Eichels mit dem Titel „Belongings“ drehen, am Ende sehr wohl – hören sich die Eigenkompositionen und die beiden Adaptionen ausnehmend gut an.
Zuerst seien die Texte da, dann erst käme die Musik hinzu, sagt Eichel über ihre Kompositionsweise. Und der Stellenwert der Lyrics ist denn auch unüberhörbar. Es geht um Zugehörigkeit und Identität, um Herkunft und Zukunft, um Aufbruch und Ankunft, um existenzielle Fragen also, aus denen sie Stücke erwachsen lässt, die mal mehr Modern Jazz, dann wieder mehr Chanson sind, in denen nie die große Geste wichtig ist, sondern viel mehr kleine, mit viel Liebe zum Detail gesetzte akustische Marken. Sie beginnt das Konzert mit „Let’s Get Slow“, mit einer Ballade also, was unüblich und mutig zugleich ist, denn damit verzichtet sie mit voller Absicht auf den sonst üblichen Knaller als Einstiegshilfe. Später wird sie bei „After The Storm“ – von der Band spartanisch untermalt – ihren Text, eine Variation über das Thema des „Faust“, lediglich rezitieren und ihm somit erst so richtig Gewicht verleihen. Und bei „A Time For Love“ von Johnny Mandel und „Rocket Man“ (Musik von Elton John, Text von Bernie Taupin) ist es schließlich offensichtlich: Dies ist kein Abend, der dem Klischee eines stickigen Jazzclubs mit Schweißausbrüchen und durchgeschwitzten T-Shirts entspricht, sondern einer mit Gänsehaut-Feeling und fein gesponnenen Kompositionen, die Luft zum Atmen haben.
Dafür sind der glasklare, transparente Sound und die Vorgehensweise der Band verantwortlich. Sebastian Sternal am Klavier, Henning Sieverts am Kontrabass und Mathieu Clement am Schlagzeug, der für den eigentlich eingeplanten Jonas Burgwinkel eingesprungen ist und jenem in der Spielweise durchaus ähnelt, skizzieren mit wenigen Akzenten das rhythmische und harmonische Gerüst, arbeiten dem steten Flow der Stücke immer wieder entgegen und sorgen auf diese Weise stets erneut für spannende Momente. Eichel singt, scattet, improvisiert mit Lauten und Silben, ist also gleichzeitig Sängerin, die eine Begleitung braucht, als auch Instrumentalistin und Solistin, beansprucht einerseits das Rampenlicht, taucht andererseits ein ins Bandgefüge.
Man sagt von ihr, ihre Intonation sei eine der sichersten innerhalb der deutschen Jazzszene überhaupt und ihre Phrasierung sei beispielhaft. Dass beide Einschätzungen wohl nicht übertrieben sind, wird beim Konzert schnell deutlich. „Burning Bridges“, „Ocean Boat Harbour“, das überragende „Home“ – alles Beispiele für ihre Spannbreite und ihr gesangliches Können. Vor der Pause ab und zu noch etwas verhalten und zaghaft, im zweiten Abschnitt dafür mit um so mehr Selbstbewusstsein, tritt Anette von Eichel für ihr Konzept ein, Texte und Musik zu einer Einheit werden zu lassen, zu einem runden Ganzen mit gleichberechtigten Kernelementen, offeriert, präsentiert und kredenzt von vier herausragenden, gleichberechtigten Musikern.