Anette von Eichel | 28.09.2024

Donaukurier | Karl Leitner
 

Leider ist der angekün­digte Tenorsaxofon Jasper Blom nicht mit nach Neuburg in den Birdland Jazz­club gekommen und so schrumpft das Quintett um die Sängerin Anette von Ei­chel zum Quartett, was man als Zuhörer aber recht schnell ausblendet, denn man weiß ja eh nicht, wie die Musik, die man an diesem Abend zu hören bekommt, mit ihm geklungen hätte. Aber auch ohne ihn – und das weiß man nach den zwei Sets, die sich zum Großteil um das aktuelle Album Eichels mit dem Titel „Belon­gings“ drehen, am Ende sehr wohl – hö­ren sich die Eigenkompositionen und die beiden Adaptionen ausnehmend gut an.

Zuerst seien die Texte da, dann erst käme die Musik hinzu, sagt Eichel über ihre Kompositionsweise. Und der Stel­lenwert der Lyrics ist denn auch unüber­hörbar. Es geht um Zugehörigkeit und Identität, um Herkunft und Zukunft, um Aufbruch und Ankunft, um existenzielle Fragen also, aus denen sie Stücke er­wachsen lässt, die mal mehr Modern Jazz, dann wieder mehr Chanson sind, in denen nie die große Geste wichtig ist, sondern viel mehr kleine, mit viel Liebe zum Detail gesetzte akustische Marken. Sie beginnt das Konzert mit „Let’s Get Slow“, mit einer Ballade also, was unüb­lich und mutig zugleich ist, denn damit verzichtet sie mit voller Absicht auf den sonst üblichen Knaller als Einstiegshilfe. Später wird sie bei „After The Storm“ – von der Band spartanisch untermalt – ihren Text, eine Variation über das The­ma des „Faust“, lediglich rezitieren und ihm somit erst so richtig Gewicht verlei­hen. Und bei „A Time For Love“ von Johnny Mandel und „Rocket Man“ (Mu­sik von Elton John, Text von Bernie Tau­pin) ist es schließlich offensichtlich: Dies ist kein Abend, der dem Klischee eines stickigen Jazz­clubs mit Schweißausbrü­chen und durch­geschwitzten T-Shirts entspricht, sondern einer mit Gänsehaut-Feeling und fein gesponnenen Komposi­tionen, die Luft zum Atmen haben.

Dafür sind der glasklare, transparente Sound und die Vorgehensweise der Band verantwortlich. Sebastian Sternal am Klavier, Henning Sieverts am Kontra­bass und Mathieu Clement am Schlag­zeug, der für den eigentlich eingeplanten Jonas Burgwinkel eingesprungen ist und jenem in der Spielweise durchaus ähnelt, skizzieren mit wenigen Akzenten das rhythmische und harmonische Gerüst, arbeiten dem steten Flow der Stücke im­mer wieder entgegen und sorgen auf die­se Weise stets erneut für spannende Mo­mente. Eichel singt, scattet, improvisiert mit Lauten und Silben, ist also gleichzei­tig Sängerin, die eine Begleitung braucht, als auch Instrumentalistin und Solistin, beansprucht einerseits das Ram­penlicht, taucht andererseits ein ins Bandgefüge.

Man sagt von ihr, ihre Intonation sei eine der sichersten innerhalb der deut­schen Jazzszene überhaupt und ihre Phrasierung sei beispielhaft. Dass beide Einschätzungen wohl nicht übertrieben sind, wird beim Konzert schnell deutlich. „Burning Bridges“, „Ocean Boat Har­bour“, das überragende „Home“ – alles Beispiele für ihre Spannbreite und ihr gesangliches Können. Vor der Pause ab und zu noch etwas verhalten und zag­haft, im zweiten Abschnitt dafür mit um so mehr Selbstbewusstsein, tritt Anette von Eichel für ihr Konzept ein, Texte und Musik zu einer Einheit werden zu lassen, zu einem runden Ganzen mit gleichberechtigten Kernelementen, offe­riert, präsentiert und kredenzt von vier herausragenden, gleichberechtigten Mu­sikern.