Andy Middleton Quintet feat. Kenny Wheeler | 02.02.2001

Donaukurier | Reinhard Köchl
 

Das Dilemma vieler Jazzmusiker liegt in der Frage: Wie kann man kreativ voranschreiten und dabei sowohl die Tradition bewahren als auch simultan neue Pfade auskundschaften? Vor allem jüngere Heißsporne müssen immer wieder erkennen, dass der unerschrockene Sprung in fremde Territorien und höhere Reifegrade für sie schlicht zu früh kommt. Sie beginnen dann heftig zurückzurudern, verlieren den Mut und verschwinden trotz ihres Talentes allmählich völlig in der Bedeutungslosigkeit.

Nicht so Andy Middleton. Der Tenor- und Sopransaxofonist aus New York lernte seine ersten Lektionen in einer der wohl letzten Bands von Altmeister Lionel Hampton, verfeinerte sein strukturelles Denken bei Bob Berg, erhielt den definitiven Ritterschlag in der Big Band von Maria Schneider, nahm Platten mit Ralph Towner und Dave Holland auf und spielte vor wenigen Jahren bei einer Tour sogar eine Barbara Dennerlein völlig an die Wand. Dass der 37-jährige Quasi-Nobody nun mit einer lebenden Legende wie dem englischen Trompeter Kenny Wheeler als gleichberechtigtem Partner im Neuburger „Birdland“-Jazzkeller aufkreuzte, ist das vorläufige Endresultat seiner höchst ungewöhnlichen Weitsicht.

Denn dieser Middleton, so frisch, unbekümmert, gut gelaunt und hervorragend deutsch parlierend er sich auch vorstellen mag, weiß ganz genau, wie Musik zu funktionieren hat. Seine selbst komponierten Tunes sind Landschaften, durch die er sich elegant mit seinen Saxes schlängelt, kleine Soundtracks zu einem Film, der zunächst nur in seinem Kopf abläuft, aber mit jeder Sekunde plastischer im Unterbewusstsein der Zuhörer Gestalt annimmt. Verwinkelte Rhythmen, verschachtelte Harmonien, von allen Fesseln befreite Motive, die nur darauf warten, von den Instrumentalisten wieder eingefangen und koloriert zu werden.

„Noggahide“, „Federico“ oder „Songs of Struggle and Songs of Love“ sind solch zähe Stücke Musik, die sich dem Weg in jeden Gehörgang verweigern, aber mit Hilfe der fünfköpfigen individuellen Gestaltungsvielfalt zu ganz eigenwilliger, schriller Blüte gelangen. Die Rhythmusgruppe agiert druckvoll, bisweilen hart, ohne den geringsten Anflug von Candlelight-Kuscheljazz. Aber welch faszinierende Seitenarme reißen der kreiselnd agierende Drummer Owen Howard, der jeden Ton in die Tiefe, Breite und Länge ziehende Bassist John Herbert sowie der fantastische Pianist Henry Hey in den kraftvollen Postbop-Strukturen auf!

Hey, der sich bislang als lärmender Keyboarder bei Bill Evans` „Push“ einen Namen machte, gibt diesmal am Klavier eindeutig die Ideen vor. Sein forsches, impulsives Spiel treibt sogar einen eher melancholischen Lyriker wie Kenny Wheeler dazu, seine Trompete mitunter wie ein durchdringendes Signalhorn klingen zu lassen. Der introvertierte Star ist freilich unaufhörlich darauf bedacht, atmosphärische Kontrapunkte zu Andy Middletons expressiver, malerisch ausgestalteter, beinahe krumm zu nennender Melodiewelt zu setzen. Selbst eine gleißende Ballade wie „At the Foot of the Hill again“, bei der jede Phrase wie ein warmer Regentropfen ans steinerne Herz klopft und das Tenorsax tönt, als befände sich ein ganzer Sandstrand darin, erhält durch den fliegenden Wechsel zum Soprano einige höchst willkommene Kanten.