Carla Bley, die große Pianistin und Organistin, die auch im Birdland in Neuburg zu hören und zu sehen war, war nie eine Vertreterin des Free Jazz, aber ihren Kompositionen haftete stets etwas Subversives an. Ähnliches könnte man auch vom Gitarristen Andreas Willers aus Berlin sagen. Der hat sich Carla’s Stücke, die sie in den Sechzigern häufig auf den Platten ihres Ehemannes Paul unterbrachte, vorgenommen, um sie, wie es im Programmheft des Birdland heißt, „auf ihre unsichtbaren Wurzeln und Triebe hin zu untersuchen“.
Dabei kommt ihm zugute, dass er selber wie auch Schlagzeuger Bill Elgart – jeder zu seiner Zeit – Teil der Bley-Band war und somit mit deren Stoff bestens vertraut ist. Im ersten Set verbindet Willers vier, im zweiten fünf Titel aus Carla’s und seiner eigenen Feder zu suitenartigen Gebilden und erklärt die Vorgehensweise so: „Man weiß nie genau wo’s hingeht, aber auf dem Weg dorthin gilt es, verschiedene Stationen abzuklappern“. Damit spielt er an auf die notierten Eckpunkte, die angesteuert werden müssen, was dann durchaus abenteuerlich klingen kann, aber nie planlos wirkt. Es gehe – wieder sei das Programmheft zitiert – um ein „chaotisch-geordnetes, ungeschütztes Mit-, Neben- und Durcheinander“, was aber an diesem speziellen Abend nur teilweise stimmt, weil „King Korn“, „Circus“ und Syndrome“ als die das jeweilige Set beschließenden Stücke durchaus griffig, themenbezogen und rhythmisch straff daherkommen und somit leichter konsumierbar sind als der Rest.
Das Quintett besteht aus Musikern, die durchaus ihr eigenes Ding durchziehen, aber nie vergessen, was eine Band, auch wenn sie im avantgardistischen Bereich tätig ist und sich jede Menge Freiheiten herausnimmt, im Endeffekt ausmacht, nämlich der kollektive Aspekt. Pianist Jan Lukas Roßmüller steuert immer wieder kleine Kürzel bei, drückt sich aus quasi mit Hilfe der Stenographie statt in der Langform, Elgart verfügt über ein unerschöpfliches Reservoir an Schlagvarianten und rhythmischen Optionen und lässt das Publikum den Groove spüren, indem er ihn umspielt anstatt ihn autoritär vorzugeben. Und Meinrad Kneer am Kontrabass demonstriert mit warmem, sattem, rundem Ton, welch tolles Gerät der hauseigene Bass-Amp der Firma „Glockenklang“ doch ist.
Und so wird man also Zeuge, wie sich die Band hineintastet in das jeweilige Stück, das Thema sich allmählich herausschält, wie die Band sich und den Kompositionen Carla’s den Raum gibt, sich zu einem intensiven klanglichen Ereignis zu verdichten, nur um anschließend wahlweise abrupt zu enden oder sich in einzelne Fasern aufzulösen oder einfach davonzuschweben. Dass dabei Willers Vorgehensweise der Carla’s oder Paul’s ziemlich nahekommt, ist folgerichtig und gewollt. Nur liegen dazwischen Jahrzehnte. „Old & New“ eben.
Natürlich operiert die Band Willers meilenweit entfernt vom Mainstream, auch von dem innerhalb des Jazz, dem Genre, in dem ja bekanntlich vieles geht, was anderswo nicht geht. Und weil es zum Konzept des Birdland nun mal gehört, die komplette Bandbreite des Jazz abzubilden, sind Konzerte dieser Art besonders wichtig und unverzichtbar. Und zudem in hohem Maße bereichernd und erfüllend für alle, die sich nicht mit eingefahrenen Hörgewohnheiten zufrieden geben.