Amsterdam Jazz Quintets | 02.02.1998

Donaukurier | Reinhard Köchl
 

Das ewige Kreuz mit den Songtiteln. Nicht selten sind sie bloß ein Vehikel für aneinandergereihte Klänge. Der Jazz macht da wenig Ausnahmen, selbst wenn ein radikaler Provokateur wie Anthony Braxton seine Werke seit Jahren nur mehr durchnummeriert. Dabei stellt sich freilich die Frage, ob ein Stück namens „No. 346“ tatsächlich ballastfreier daherkommt, als die vielen simpel-herzigen Liebeslieder, die immer noch für beinahe jede Einfallslosigkeit Pate stehen müssen.

Ein Projekt wie das des „Amsterdam Jazz Quintets“ liegt da genau in der Mitte. Die fünf Newcomer haben es sich zum Prinzip erhoben, keinesfalls nur draufloszukomponieren, sondern bei ihrer Arbeit die Noten und Tempi nach einem ganz bestimmten Leitmotiv zu ordnen. Das birgt Risiken, aber auch viele Glücksmomente, wie bei den stimmig umgesetzten akustischen Bildern ihrer „Homebase“ Amsterdam. Nun geht das ideenreiche Quintett auf dem Weg zum Soundtrack-Jazz noch einen Schritt weiter. Im Laufe ihrer ersten Neuburg-Visite präsentierten die Musiker aus der Brückenstadt Portraits von Personen der Zeitgeschichte – vor dem Gig im „Birdland“-Jazzclub tags zuvor auch im neueröffneten Dachgeschoß des Jugendzentrums der Ottheinrichstadt.

Zumindest vom Repertoire her ein Punktsieg: eine schwülstig-saxophonlastige Ode auf Bill Clinton oder ein feuchtfröhlicher Säbeltanz für Boris Jelzin fehlen. Wäre auch zu penetrant gewesen. Dafür macht sich das Ensemble über nicht minder charismatische Randfiguren Gedanken. „Brigitte Bardot“ läßt der feinsinnige Bassist Paul Berner mit kräftigem Geleit des Schlagzeugers Jost van Schaik im flott-eleganten Uptempo der 50er/60er Jahre daherstolzieren, während „Black And White“, dem Schachweltmeister Gary Kasparow gewidmet, wie ein, grüblerisch-intellektuelles Monument in sich ruht.

Einiges hätte man so nicht erwartet. Etwa die mächtige, in Moll gehaltene Samba für den Fußballgott „Pelé“ oder die interessanteste, weil differenziert strukturierende Nummer „Lost In The Moneyjungle“, die sich mit dem Treiben des Millionenbetrügers Nick Leeson beschäftigt, der durch Trickgeschäfte ein englisches Bankhaus im Alleingang eliminierte. Bei anderen Stücken, wie dem leicht schwebenden, von Toon Roos` luftigem Sopransax getragenen „Dalai Lama“ wirkt der Zusammenhang manchmal gewaltsam konstruiert, während der zu Ehren des Komikers John Cleese ersonnene „Song For Basil Fawlty“ als markantestes Merkmal rasante, gradlinige, allerdings auch bierernste Bläserlinien (trotz des um viele Nuancen bemühten belgischen Trompeters Bert Joris) aufweist.

Und genau hier liegt der Haken. Jedes der „Portraits“ des „Amsterdam Jazz Quintet“ bedarf unbedingt der vorherigen Erklärung durch den Bandleader und Pianisten/Organisten Robert Jan Vermeulen, was vor allem im „Juze“ wegen der Nebengeräusche fast völlig unterging. Denn ohne begleitende Worte kommt das ganze, erfrischend unkonventionelle Kaleidoskop so beim Publikum an, wie die gleich zweimal dargereichte feurige Hyme auf „Superbarrio“, den mexikanischen Wrestlingstar und Engel der Armen: als publikumsträchtiger, namenloser, einfach nur gut abswingender Jazz. Wer fragt da noch nach einem Konzept?