Alexander von Schlippenbach Trio | 16.12.2006

Neuburger Rundschau | Dr. Tobias Böcker
 

Es gibt sie noch die Unverdrossenen, für die der Jazz das gelobte Land der freien Meinungsäußerung ist, gelöst von Form und Konvention, ohne Grenzen und allein dem Augenblick verpflichtet. Alexander von Schlippenbach, Evan Parker und Paul Lovens gehören zu der selten gewordenen Spezies von Jazzmusikern, die der Kunst des freien Spiels auch gut 40 Jahre nach der großen Zeit des New Thing ohne Ermüdung frönen.

Drei Hochenergieträger präsentieren sich da im Neuburger Birdland Jazzclub. Wahre Klanggewitter entladen sich aus Flügel, Saxophon und Schlagzeug in zwei mal einstündigem Powerplay. Nicht etwa, dass da wild drauf los gespielt würde: Musik ist das, die durchaus Absprachen folgt, nur dass diese ad hoc erfolgen, nicht im Vorhinein festgelegt sind, aus dem Augenblick geboren jederzeit auch anders erfolgen könnten. Musik, die das Tempo der Zeit aufnimmt, die Unwägbarkeit und das Risiko der Gegenwart, Musik auch, die offene Auseinandersetzung nicht scheut. Ein dichtes Geflecht von kommunikativer Kraft entsteht da, in das der Zuhörer eintauchen kann wie in einen Strudel aus Rhythmen, Melodiefetzen, angedeuteten Themen, Statements, Fragen, Thesen, offenen Momenten, auch ein wenig Schalk.

Schlippenbachs Klavierspiel ist von unglaublicher technischer Finesse und Perfektion. Nichts wie weg mit dem alten Vorurteil, Freejazz spielten die, die’s anders nicht könnten. Ganz im Gegenteil: Das ist vom Feinsten, löst aus hochexplosiven gemeinsamen Improvisationen so manche gar zarte besinnlich Impression, wirbelt die dann wieder auf und durcheinander zu mächtigem Strom, dessen Wucht es wiederum weder an Struktur noch Überlegung mangelt. Was da u.a. mit Theolonious Monks „Green Chimneys“ passiert, ist nur mehr atemberaubend.

Das gilt auch für das Zusammenspiel mit den Partnern an Saxophon und Schlagzeug. Evan Parkers Powertenor füllt den Keller mit warmem wuchtigem Klang, knorrig, knarzig und kraftstrotzend in stürmischem Vorwärtsdrang. Schlagzeuger Paul Lovens, ein Musterbeispiel für die Emanzipation seines Instruments, spielt dazu auf seinem fast auf’s Nötigste reduzierten Set stets auf Augenhöhe mit, beschränkt sich keinen Atemzug lang auf die Rolle des rhythmischen Sekundanten. Als dritter Drehpunkt eines dreipoligen Hochspannungsgenerators steht er für rhythmische Differenzierung und in der differenzierten Verwendung etlicher Zimbeln, Handbecken und Gongs seinerseits für eine erstaunliche klangliche Vielfalt.

Immer wieder gibt es ja Zeitgenossen, die meinen, der freie Jazz sei ein Weg in die Sackgasse gewesen. Der „Hardcore-Freejazz“, wie ihn Alexander von Schlippebach im Birdland augenzwinkernd als Weihnachtsgeschenk „für Freunde und Feinde“ empfiehlt, belegt das Gegenteil, enthält er doch auf Dauer wesentlich mehr Nähwert als so manches musikalische Weihnachtsplätzchen, das dieser Tage die Regale einschlägiger Drogeriemärkte füllt.