Aki Takase – David Murray Duo | 17.02.2017

Augsburger Allgemeine | Reinhard Köchl
 

Sie könnten fliegen, mit all ihren instrumentalen Fähigkeiten, einen Abend des Wohlklangs und einvernehmlichen Glückseligkeit bereiten. Tun sie aber nicht. Warum sollten sie auch? Viel lieber staksen Aki Takase und David Murray ebenerdig durch die mit Unkraut überwucherten Vorgärten des Bebop und des Swing, durch die Minenfelder der Avantgarde, die morastigen Sümpfe des Blues und die weiten Nebelfelder der Melancholie.

Dass die Pianistin und der Saxofonist im Neuburger Birdland-Jazzclub nach fast 25 Jahren überhaupt wieder gemeinsam konzertieren, ist die eine Überraschung. Die andere ist die Art, wie sie miteinander kommunizieren, ihre Erlebnisse austauschen, sich anhören, was der andere sagt, es kommentieren, erwidern oder einfach nur im Raum stehen lassen. Beide müssen sich nicht mehr auf Teufel-komm-raus beweisen, sie müssen auch nicht gegeneinander kämpfen, wie früher manchmal. Zu viel ist seither passiert, Takases schwere, lebensbedrohliche Erkrankung, Murrays Luftveränderung raus aus einem immer deutlicher rückwärtsgewandten Amerika, rüber ins vermeintlich weltoffenere Frankreich.

Dennoch, oder gerade deshalb gilt auch 2017: Was für ein Paar! Hier die zierliche, stylish wie ein Model gekleidete, in Berlin lebende Japanerin, dort der athletische Afroamerikaner mit Wohnsitz im 20. Pariser Arrondissement. Krasser könnten Gegensätze kaum aufeinanderprallen. Takase spielt lässig, rhythmisch lebendig, fast perkussiv, kann aber auch simple popartige Melodien ausreizen wie eine Sonate. Interessant wird es, wenn sie die Harmonik verlässt, die Akkorde zerbröselt und den Dingen einfach ihren Lauf lässt. Dann passiert es, dass sie in „Cherry – Sakura“, dem Titelstück ihrer neuen CD, das träumerische, von der Kirschblüte handelnde fernöstliche Thema einfach verlässt und den hymnischen Popsong „500 Miles“ zitiert, um danach in einen rockähnlichen Roadmovie-Soundtrack einzufädeln. Murray folgt ihr fast überall hin, gibt aber auch selbst mal eine abwegige Richtung vor. Bei einer Komposition von Sun Ra hebt er völlig unerwartet ab, verlässt die Sphären distinktiver Töne, jault, schreit, stöhnt, wimmert, seufzt, klagt und überschlägt sich. Und doch singt sein Tenorsax: Murrays Kontrolle über die durch Überblasen erzeugten Obertöne ist schlicht verblüffend.

Kein Patchwork-Jazz, sondern große Geschichten im kleinen Rahmen, bei denen die Emotionen an jeder Note baumeln. Es gibt Moment für das Langzeitgedächtnis zuhauf. Aki schlendert mit ihrer Rechten schwerelos swingend übers Elfenbein, während David dazu mit der Zunge auf dem Mundstück ploppt. Oder: Sie tänzelt auf einem Kinderklavier von Moll nach Dur, während er einen sanften Wind voller dunkelblauer Viertel darüber haucht. Und wie beide aus einer verträumten Ballade einen feuerspeienden Vulkan ausbrechen lassen, eruptiv, krachend und heiß, das kann das Publikum förmlich am eigenen Leib spüren.

Aki Takase und David Murray sind möglicherweise eines der besten Duos des modernen Jazz. Im Birdland sagen sie nach einem Abend wie diesem: das Beste!