Aki Takase and the good boys | 01.12.2005

Donaukurier | Reinhard Köchl
 

Gute Jungs. Trommeln, zupfen oder blasen was das Zeug hält. Richtig emsige Arbeiter. Folgen ihrer Chefin überall hin. Bedingungslos.

Ins Bergwerk der Klassik etwa, dort wo Stavinskys Krönungsmarsch in dicken Notenbrocken von der Decke herunterprasselt. Ohne Helm stehen die Herrn Mahall (Bassklarinette), Gauchel (Tenor-, Sopransaxofon, Flöte), Fink (Bass) und Köbberling (Drums) da, im Schlaghagel von Kreuzen, Taktstrichen oder Tonzeichen. Doch das kümmert sie scheinbar wenig. Lachen, Schwitzen, Rumprobieren. Weiter geht’s durch das Gestrüpp von Monk, Polka, Walzer, Eisler und Bebop. Die Buben dürfen sich bei der japanischen Pianistin Aki Takase richtig austoben, ihr jeweiliges Spielzeug in 1000 kleine Fetzen zerreißen und es dann wieder zusammensetzen. Macht nix, wenn’s hinterher nicht mehr passt. Muss ja auch nicht.

Wenn „Aki & The Good Boys“ im Neuburger „Birdland“ malochen, dann ist das ein ziemlich unkonventionelles Konzert. Die Losung lautet: Keine Gefangenen. Häckseljazz und Hackfleisch-Blues, bei dem mit Holper, mal mit Polter aus der determinierenden Stilistik ins Freie galoppiert, abrupt und häufig den Fluss unterbrechend quer geschossen und aus der Jazzgeschichte zitiert wird. Heinrich Köbberling deckt mit seinem Schlagzeugspiel den Rückraum und würde mit dieser Arbeitsweise jeden Großen Zapfenstreich aufpeppen. Dennoch, oder vielleicht gerade deshalb, herrscht hier Swing ohne Zwang, auf dass sogar mal im eleganten „Choco Amore“ entspannt à la français abgegroovt wird.

Ansonsten gibt’s zackig-zickigen Jazz auf Zuruf – ein Schrei, ein Blick. Alle rennen, diesen zu erfüllen, in neuen Tempi davon. Überraschende Endings. Schluss ist, wenn’s halt aus geht. Im kollektiven Handgemenge den Überblick zu bewahren, fällt bisweilen schwer. Doch zum Glück verlaufen sich die Protagonisten nur selten im Unterholz des solistischen Vollzuges. Die meisten Stücke werden binnen vier Minuten erlegt. Tanzpartystimmung. Musiktheater. Oder wie sollte man sonst eine Kapelle wie diese beschreiben?

Rudi Mahall, der sich von der Physiognomie her im Laufe der Jahre immer mehr seiner Bassklarinette annähert, tänzelt wie ein Boxer, lauert mit weit aufgerissenen Augen und Quasimodobuckel, trötet, grunzt. Johannes Fink torkelt mit seinem Bass wie eine frisch gepflanzte Birke im Hurrikan, gewisse akustische Überraschungseffekte nicht ausgeschlossen. Walter Gauchel erweckt mit seinem zerschlissenen Jackett und seinem adretten Ansatz noch am ehesten den Anschein, dass wir es hier mit richtigem Jazz zu tun haben.

Und dann wäre noch Aki Takase: Unverwüstliche 57, hoch dekoriert mit dem Jahrespreis der Deutschen Schallplattenkritik, Berlin geprägt, schräg wie ehedem. Eine Katze, die wild über die Tastatur springt oder auf Samtpfoten zuckersüße Läufe voller Romantik aus dem Elfenbein zaubert. Aber Vorsicht: Ein Raubtier wie sie kann nie aus seiner Haut. Es jagt und lässt sich unmöglich fangen. Ihre Titel könnten die Musik nicht besser charakterisieren: „Mit oder ohne mit“, „Nieren- und Blasentee“, „Schwester Ingrid“, die sanft gurrende „Möwe“ oder das aufgeblasene „Super Heinrich“.

Der absolute Höhepunkt ist aber die Zugabe: Walter Gauchel sagt, halb nuschelnd, halb singend, „Tschüss“. Eine beschwipste Mischung aus Reinhard Mey und Harald Juhnke, voller innerem und äußerem Grinsen. Das Publikum kichert, Rudi Mahall prustet und lässt, weil’s ihm gerade danach ist, einen deftigen Pupser durch die Bassklarinette entweichen. Schluss, aus! Klasse!