Adam Nussbaum Quartet | 24.09.2021

Donaukurier | Karl Leitner
 

Huddie Ledbetter alias Leadbelly (1889-1949) ist eine Legende des Country Blues. Eric Clapton, Rory Gallagher und CCR übernahmen seine Stücke in ihr Programm, Ram Jam brachten sein „Black Betty“ sogar in die Hitparaden. Jazzmusiker hingegen haben sich seines Erbes eher selten angenommen. Das ändert nun das Adam Nussbaum Quartet aus New York City mit seinem Projekt „Leadbelly Reimagined“. Wie selbiges in der Live-Version klingt, kann man an diesem Abend im Birdland in Neuburg erfahren.

Der Blues ist der Anfang aller Dinge, auch des Jazz. Gerade der unverstärkte Country- und der Delta Blues ist geprägt von tiefer Emotionalität. Weil er sich einer einfachen Form bedient, ist er die ideale Ausdrucksform für Gefühle abseits jeglicher Heuchelei, spiegelte in seiner Ur-Form oft die unmenschlichen Lebensbedingungen der Schwarzen in den USA wider und war nicht selten ein Hilfeschrei. Es ging in seiner Frühzeit nicht um kompositorische Spitzfindigkeiten, wohl aber um Ehrlichkeit. Wer den Blues nicht als Lebensgefühl vermitteln konnte, zählte nichts, wer ihn „hatte“, wurde akzeptiert.

Schlagzeuger Adam Nussbaum, Tenorsaxofonist Ohad Talmor und die beiden Gitarristen Steve Cardenes und Nate Radley haben es sich zur Aufgabe gemacht, den heutigen Modern Jazz mit dem Blues der 1920er und 1930er Jahre zu kombinieren, also die authentische, archaische, rein emotionale Komponente zu verknüpfen mit der stets um neue Ausdrucksformen bemühten, kreativen und, ja, durchaus auch intellektuellen des heutigen Jazz. Bei welchen Stücken dies am ehesten gelingt, kann man gut an der Reaktion des Publikums ablesen. „Rock Island Line“ (gecovert und für den Skiffle aufbereitet von Lonnie Donegan) und „Tell Me Where Did You Sleep Last Night“ (gecovert und für den Grunge aufbereitet von Nirvana) kommen bestens an. Immer dann, wenn der Rock-Anteil ansteigt, die Band also straight spielt, und dafür die Dichte der jazzigen Verästelungen abnimmt, das harmonische Bluesschema deutlicher wird, der Groove rhythmische Finessen verdrängt, desto mehr setzt sich beim Hörer der Bauch gegen das Gehirn durch.

Nussbaum und seine Kollegen loten das ganze Spektrum aus, spielen in der ersten Hälfte jazziger, in der zweiten bluesiger, lassen auf diese Weise zwei Betrachtungsweisen aus verschiedenen Blickwinkeln zu. Der Country Blues aus der ersten Hälfte des letzten Jahrhunderts und der Modern Jazz von heute sind die Eckpunkte, die hier behutsam einander angenähert werden. Jeder einzelne im Publikum muss wohl für sich selbst entscheiden, an welcher Stelle der langen Distanz zwischen diesen zwei Polen er sich verortet. Waren um 1920 herum Blues und Jazz in New Orleans noch weitgehend Hand in Hand unterwegs, gilt das, nach unzähligen Umwälzungen in beiden Lagern und trotz des Marsalis-Clans einer- und dem der Neville Brothers andererseits, ja längst nicht mehr automatisch. Adam Nussbaum wagt den Schulterschluss über ein komplettes Jahrhundert hinweg trotzdem und sorgt damit für einen höchst interessanten, aber vermutlich eben auch polarisierenden Abend.