Jazzmusiker sehen anders aus. Wie das hagere Bürschchen mit seinen langen, blonden Haaren auf der Bühne des Neuburger „Birdland“-Jazzclubs steht, besitzt es eher den Habitus eines gitarreschwingenden Teenieschwarms aus den Spätsiebzigern. Doch wenn Paul Heller plötzlich frische, abstrakte Linien mit dem Tenorsaxophon produziert, wundert sich so mancher Zuhörer über diesen krassen Gegensatz und stellt abermals fest: der einzige Nutzen eines Klischees liegt stets darin, es genüßlich zu zerschlagen.
Der junge Kölner paßt wirklich in keine der gängigen Schubladen, auf die gerade im Jazz oft zurückgegriffen wird. Wo andere Sax-Player seiner Generation entweder mit heißen Dancefloor-Licks protzen oder versonnen-esoterische Nebelschwaden wabbern lassen, setzt Heller mit scharf konturiertem Ton, moderner Bop-Philosophie und der kraftvollen Phrasierungsgeometrie eines Sonny Rollins einen wohltuend sachlichen Kontrapunkt. Abgeklärt wie ein Alter baut sich der 27jährige seine Soli zusammen. Sie beinhalten feine Klangsinnlichkeit, bouncende Rhythmik sowie raumgreifende Dynamik und besitzen die Qualität anregender Kurzgeschichten.
Ein abgeschlossener Roman, sprich ein ganzes Konzert, wird aber erst dann daraus, wenn das Riesentalent visionäre, erfahrene Partner, wie in Neuburg den niederländischen Trompeter Ack van Rooyen an seiner Seite weiß. Van Rooyen, der einen Großteil seiner Popularität dem „United Jazz & Rock Ensemble“ verdankt, kennt die hohe Schule des Flügelhorns aus dem Effeff. Warme Intonation, sprudelnde Triolenströme und sanft gleitende Lyrik tauchen die walzernde Ballade „For Alexandra“, die sehnsüchtige Elogie „Waiting“ oder das programmatische „Flügelhorn im Herbst“ in einen vollreifen, tiefblauen Farbtopf, in den selbst Paul Heller manchmal gerne hineingreift.
Zu den wirklich angenehmen Überraschungen solcher Konzerte gehört freilich immer wieder die Entdeckung neuer, bislang unbekannter Hoffnungsträger aus dem zweiten Glied der Sidemen. Der erstaunliche Pianist Achim Kaufmann mit seinem impressionistischen Swing sowie der verquer-kunstvollen Schrägheit eines Thelonious Monk ist so einer. Der unorthodoxe Drummer Dre Pallemaerts mit seinen dosiert verschachtelten Kreuzrhythmen, die besonders wirkungsvoll auf dem gebundenen Grooveteppich des Bassisten Ingmar Heller zur Geltung kommen, ein anderer. Kurz vor der Jahrtausendwende besteht wieder Hoffnung für den Jazz. Gerade weil sich auch solche Musiker herzlich wenig um dessen längst überkommene Normen scheren.