7. Birdland Radio Jazz Festival 2017 | 17.11.2017

Neuburger Rundschau | Reinhard Köchl
 

Eigentlich ist es ein Geschenk. Zum mittlerweile siebten Mal kam der Bayerische Rundfunk trotz Sparzwangs (dem unter anderem auch die Berichterstattung über die renommierte Burghausener Jazzwoche zum Opfer fiel) mit Mann, Maus und nahezu seinem gesamten Ü-Wagen-Fuhrpark in die Neuburger Altstadt, um das gesamte Birdland Radio Jazz Festival entweder aufzuzeichnen oder live zu übertragen. Neun Konzerte von erlesener Qualität, unterschiedlichster Ausrichtung, Farbe und Aktualität, die allesamt ein grandioses Spiegelbild dieser wandelbaren, vielfältigen Musikrichtung abgeben, richteten den kulturellen Fokus im Freistaat einmal mehr auf die Ottheinrichstadt. Rund 1000 Menschen verfolgten die Darbietungen im Birdland Jazzclub, im Stadttheater oder im Audi Forum Ingolstadt, ein Vielfaches davon ließ sich vor dem Radio von der „Musik des Abenteuers“ (Klarinettist Louis Sclavis) verzaubern.

Sage und schreibe vier Stunden lang übertrug der BR zum großen Finale von Samstag auf Sonntag zwischen 22 und zwei Uhr. Im improvisierten Studio im zweiten Stock der ehemaligen Hofapotheke begrüßten die Moderatoren Roland Spiegel und Uli Habersetzer Studiogäste wie Birdland-Impresario Manfred Rehm und erinnerten mit Konzertmitschnitten sowie Interviews an all jene Stargäste, die sich seit Mitte Oktober hier die Klinke in die Hand gaben. Außerdem hatten sie in der reichhaltigen Historie Neuburgs gestöbert und mit vielen kurzweiligen Beiträgen auf das überaus reizvolle Spannungsfeld von modernem Jazz und alter Renaissance hingewiesen. Vier Stunden live aus und um Neuburg: Welch ein unschätzbarer, touristischer Effekt zum Nulltarif, selbst zur Nachtzeit, der als Dauerwerbesendung wahrscheinlich eine hohe fünfstellige Summe gekostet hätte!

„Auch die siebte Auflage des Birdland Radio Jazz Festivals war ein voller Erfolg“, resümierten deshalb Rehm und BR-Jazzredakteur Spiegel zufrieden. Das vom Birdland-Jazzclub zusammengestellte Programm traf nahezu jeden Geschmacksnerv. „Wir erleben, dass zu allen Konzerten Menschen aus allen Generationen kommen“, sagt Rehm. Die oft gehörte Mahnung, „doch etwas mehr für das jüngere Publikum zu tun“, sei nicht nur für das Festival, sondern für das gesamte Birdland-Programm wenig hilfreich.

Denn wer will und über die nötige Zeit verfügt, der findet wirklich alles. Klassische wie lateinamerikanische oder swingende Elemente in der Darbietung von Bolero Berlin (12. Oktober) oder impressionistische gleichwohl packend groovende Trioexkurse beim Gastspiel des amerikanischen Pianisten Aaron Goldberg (20. Oktober). Dass Miles-Davis-Drummer Al Foster mit erlesener Besetzung dem großen Bebop-Innovator Charly Parker huldigte (21. Oktober), darf ebenso als Glücksfall bezeichnet werden, wie die wagemutigen, teilweise rockigen, manchmal aber auch ein bisschen zu populistischen Parforceritte des kubanischen Pianisten Alfred Rodriguez (10. November).

Das normalerweise behutsam zu verwendende Attribut „sensationell“ trifft auf jeden Fall für das intime Clubkonzert von Georgie Fame (11. November) zu. Das Alter Ego von Van Morrison hinterließ an einem begeisternden Abend voller Spiellaune und all seiner Hits einen unauslöschlichen Eindruck im restlos ausverkauften Hofapothekenkeller. Auch für Georgie Fame schien der Besuch in Neuburg kein „Business as usual“-Programm zu sein, zumindest wenn man seinen Eintrag im Gästebuch des „Birdland“ richtig zu deuten vermag: „To the best Jazz Club in the World“.

Zum konzertanten Endspurt gab es nicht zum ersten Mal „drei am Stück“. So erlebte das Stadttheater am Donnerstag mit der auf Zehenspitzen vorgetragenen, höchst sensiblen Doppel-Performance der Saitenkünstler Ferenc Snétberger (Gitarre) und Ron Carter (Kontrabass) einen der sinnlichsten Jazzmomente überhaupt in dessen langer Geschichte (wir berichteten). Am Freitag gab es dann das Kontrastprogramm durch die „Asian Field Variations“, einer avantgardistisch anmutenden, kammermusikalischen Darbietung von Louis Schlavis, Dominique Pifarély (Violine) und Vincent Courtois (Cello). Mit größtmöglicher lyrischer Sensibilität formten die drei Franzosen mysteriöse, fantastische Miniaturen, in denen vor allem die Streichinstrumente als Turbobeschleuniger dienten.

Den Schlussakkord setzen durfte dann am Samstag das muntere, vor Kreativität geradezu berstende Quartett der Leipziger Schlagzeugerin Eva Klesse, wobei der zweite Teil des Konzertes sogar live über den Äther ging. Klangsinnlich, leidenschaftlich, voller Energie und verblüffender Auswege aus allen Sackgassen: So untermauerten Klesse und ihre Freunde ihren Ruf als eine der hoffnungsvollsten deutschen Formationen der Gegenwart. Allein für das kleine Hörspiel in „Klabautermann“, in der die Bandleaderin wie ein Furie mit einem Blatt Papier wedelte und der Rest der Combo der Besatzung auf einem Seelenverkäufer auf hoher, sturmgepeitschter See eine instrumentale Stimme gab, hätte sich der Besuch schon gelohnt.

Wie gesagt, ein Geschenk, für welches das Publikum oft weite Wege auf sich nahm. Warum jedoch nicht zum ersten Mal kein einziger Mandatsträger der Kulturstadt Neuburg dem 7. Birdland Radio Jazz Festival die Ehre erwies, bleibt nach wie vor ein ungelöstes Rätsel.